Das Wesentliche liegt im Ausdruck "Korrelat". Wieder begegnet der Rückblick
auf die Knappschaftsreform, die für sehr erfolgreich gehalten wird. Im Ganzen
werde, so Stumm, die soziale Frage weder durch die Koalitionsfreiheit, noch
durch die Gewerbefreiheit überhaupt, noch durch Konsum- und Vorschussver¬
eine, "am allerwenigsten aber durch die Arbeiterkorporationen mit Staatshilfe"
- ein Seitenhieb gegen den Lassallanismus -, sondern "nur wirksam gelöst [...]
durch das wachsende Gefühl der Zusammengehörigkeit zwischen Kapital und
Arbeit, zwischen Arbeiter und Arbeitgeber".34 Gewerbefreiheit war auch für ihn
grundlegend, aber deren Auswüchse, "ich möchte sagen, eine Anarchie auf
einzelnen Gebieten des gewerblichen Lebens", waren abzulehnen.3'’ Stumm
bekämpfte die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit, weil für ihn unverrückbar
feststand, dass dies die letztlich als unmündig verstandenen Arbeiter an hem¬
mungslose Agitatoren, an die Apostel des Klassenkampfes, ausliefern würde.
Dem vorzubeugen, wurde er nicht müde, durch Maßnahmen betrieblicher Sozial¬
politik im eigenen Reich sowie durch parlamentarische Initiativen sozialpoliti¬
sche Prävention anzuregen. Das entsprach in Grundzügen, wie schon Hellwig
erkannte, "der Denkweise Bismarcks".36 In den sozialpolitischen Initiativen zur
Zeit der Kaiserattentate und des Sozialistengesetzes nahm Stumm durch seine
Anträge im Reichstag viel von dem vorweg, was Bismarck seit dem Unfall¬
versicherungsgesetz von 1881, dem Krankenversicherungsgesetz von 1884
und dem Alters- und Invalidenversicherungsgesetz von 1890 dann erfolgreich
in Angriff nahm. Ebenso wie bei Bismarck trug Stumms sozialpolitisches Credo
"quasi-ständische wie auch staatsautoritäre Züge", und das sollte sich noch
einmal, im zweiten Abschnitt der politischen Tätigkeit im Reichstag, erweisen,
als sich Stumm als einer der maßgeblichen Protagonisten der Umsturzvorlage
von 1896 und der Zuchthausvorlage von 1899 erwies. Stumm war zu dieser
Zeit unzufrieden geworden mit dem Neuen Kurs des jungen Kaisers, am ehesten
wohl, weil er die partizipatorischen Aspekte dieses Berlepsch-Kurses verab¬
scheute - immerhin wurden Gewerbegerichte und auch Arbeiterausschüsse, wenn
auch letztere nur der Idee nach, gesetzlich verankert. Wie Stumm sich schon in
der ersten Phase seines Reichstagsmandats nicht gescheut hatte, bei Wahlen
drohend und ostentativ Einfluss zu nehmen, so zögerte er nicht, in den 1890er
Jahren Staatsstreichgedanken zu ventilieren.37 Er wollte, wie Alexander schreibt,
"Arbeiterschutz [...] immer auch mit ,Arbeitertrutz’ verbunden wissen"; ihm war,
wie Bismarck seit der Reichsgründung, das "Junktim von sozialpolitischem
Fortschritt und Repressionsmaßregeln gegen die Arbeiterbewegung" selbstver¬
ständlich.38
34 Reden (Anm. 15), Bd. 8, S. 22, 24f.
35 Reden (Anm. 15), Bd. 11, S. 84.
36 Hellwig, Stumm-Halberg, 1986 (Anm. 15), S. 179.
37 Vgl. Stalmann (Anm. 27), S. 305f sowie Alexander (Anm. 27), S. 219.
38 Hans-Jörg von Berlepsch, ,Neuer Kurs’ im Kaiserreich? Die Arbeiterpolitik des Freiherm
von Berlepsch 1890-1886, Bonn 1987, S. 439; nach Alexander (Anm. 27), S, 222.
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