Unternehmer, sondern auch die Staatswerke im Saarrevier zur Zusammenarbeit in
der Sozialistenverfolgung zu gewinnen. Ansätze hierzu gab es auch im Ruhr¬
gebiet, aber dort war man längst vielfältiger, urbaner, dort hatten die Lebens¬
weisen an Anonymität und damit schwierigerer Durchdringbarkeit gewonnen.
Man darf die regionalen Mentalitäten, Märkte und Lebensumstände also nicht
aus den Augen verlieren, aber die Unterschiede zwischen Essen und Neunkir¬
chen bezeichnen auch insofern nur Akzente, nicht Unterschiede im Prinzip.
Denn gemeinsam war beiden Unternehmern, die Belegschaftspolitik als eine
quasi-ständische Vergesellschaftung’0 zu betreiben. Den Stand definiert die
Zugehörigkeit von Geburts wegen, Krupp und Stumm privilegierten die An¬
stellung der Söhne der Beschäftigten; die Sonderrechtlichkeit, und da schufen
die Arbeitsordnungen eigene Quasi-Rechtsräume; die abgehobene Lebensweise,
das gelang durch Vor- und Fürsorge sowie durch die Unzahl betrieblicher
Ehrungen und Symbole bis hin zu Fahnen und Abzeichen, Festen und Aufmär¬
schen; schließlich gar gestufte politische Partizipation, aber dieses Merkmal
erschiene im Unternehmen absurd, und was die staatsbürgerlichen Freiheiten
anging, so konnten sowohl Krupp als auch Stumm restriktiv wirken, weil ihre
Zeit ihnen das ermöglichte.
Unternehmenskultur, Politik und Verfassung
Mit dieser letzteren Bemerkung soll die zeittypische Verkettung dieser besonders
prononcierten Art betrieblicher Sozialpolitik näher in den Blick genommen
werden. Das führt hin zu den Denkhorizonten der beiden großen Unternehmer,
hin auch zu dem, was in der Zeit gedacht wurde, schließlich hin zu dem, was
beide Unternehmen auszeichnete, das heißt, gegenüber anderen Unternehmern
hervorhob. Dabei sei ganz allgemein zunächst betont, dass, in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts, die Zeit des Ständestaats zwar durch die des Verfassungs¬
staates abgelöst sein mochte, dass dies aber keineswegs schon das Ende der
Stände und ihrer Privilegierungen bedeutet hat, dass vielmehr, neben der alten
Terminologie, viele gewichtige Rechtsformen und politische Sonderungen
fortbestanden. Eben dies war ja ein Merkmal der konstitutionellen Mischverfas¬
sungen. Es war selbstverständlich nicht zufällig, dass man vom Proletariat, lieber
aber vom "Vierten Stand" redete, wie man auch, nicht erst seit der Jahrhundert¬
wende und mit dem Angestelltenversicherungsgesetz, den Mittel-"Stand" als
Bollwerk gegen Proletariat und Sozialdemokratie ganz neu zu erfinden imstande
war. Konkreter gesprochen, spielte im Denken von Krupp ebenso wie in demje¬
nigen Stumms der "Bergarbeiterstand" eine besondere Rolle. Das betraf auch
andere, liberalere Unternehmer wie Friedrich Harkort, der in seinen Bienenkorb-
30 Vgl. M. Rainer Lepsius, Das Bildungsbürgertum als ständische Vergesellschaftung, in:
Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert. T. III: Lebensführung und ständische Vergesell¬
schaftung, hrsg. von M. Rainer Lepsius. Stuttgart 1992, S. 9-18.
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