beider, was ihre sozialpolitischen Anschauungen betraf, in Abrede zu stellen.
Freilich könnte man auch darin, oberflächlich betrachtet, starke Abweichungen
konstatieren; Krupp etwa sah Fabrikherrn und Belegschaft gern als eine einzige
große Familie, manchmal auch als eine Gemeinde an, Stumm dagegen lehnte den
Ausdruck "Patriarchalismus" dezidiert ab und beschrieb die Beziehung lieber in
der Terminologie der Militärs, darauf komme ich zurück. Unter den Motiven wird
schon von Puppke das "religiöse" wie auch das "sittlich-humane Element" eher
zurückgewiesen, und das ist vielleicht etwas voreilig. Sicher haben sich beide
mit der Religion persönlich nicht übermäßig beschäftigt; beide betonten indes¬
sen, unter konfessioneller Toleranz mindestens bei Krupp und deutlich auch bei
Stumm, den konservativ-stabilisierenden Einfluss von Religiosität und förderten
sie deshalb - Stumm konnte darüber in schwere Konflikte mit der protestanti¬
schen Geistlichkeit geraten.5 Nicht ganz beiseite lassen sollte man also die
Tatsache, dass wir es mit beinahe klassisch-protestantischen Unternehmerpersön¬
lichkeiten zu tun haben, die ihrerseits über eine überwiegend jedenfalls in Essen
und vielleicht auch in Neunkirchen katholische Arbeiterschaft befehligten.
Überhaupt ist aber die Debatte über die Motive der frühen betrieblichen Sozial¬
politik jüngst aus einer stark betriebsbezogenen Sicht akzentuiert worden. In
diesem Sinne hat Toni Pierenkempers Entwurf einer vorrangig betriebswirt¬
schaftlich operierenden Unternehmensgeschichte die ökonomischen Kerndaten
zum wichtigsten Untersuchungsgegenstand erklärt6 9 - eine Ansicht, der ich selbst
gerade für Krupp, und bei diesem Großkonzern bis hin zum vierten Krupp,
Gustav Krupp von Bohlen und Haibach, nicht beizutreten vermag. Für Stumm
hat wohl schon Abraham Aschers Aufsatz über den "Advokaten des Feudal¬
kapitalismus" gerade die politischen, eben nicht primär ökonomischen Gesichts¬
punkte auch der untemehmensgeschichtlichen Interpretation erarbeitet/ Gestützt
auf jüngere arbeiter- und belegschaftsgeschichtliche Studien von Welskopp/
aber auch in Übereinstimmung mit dem durch Pierenkemper bezeichneten Trend,
hat jüngst Ralf Banken10 eine umfangreiche und in ihren detailreichen Mittei¬
5 Vgl. besonders Günter Brakeimann, Carl-Ferdinand [!] Stumm: Christlicher Unternehmer,
Sozialpolitiker, Antisozialist. Bochum 1993.
6 Toni Pierenkemper, Was kann eine moderne Unternehmensgeschichte leisten? Und was
sollte sie tunlichst vermeiden, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 44 (1999),
S. 15-31. Zur Debatte siehe die folgenden Jahrgänge dieser Zeitschrift.
Vgl. Klaus Tenfelde, Krupp in Krieg und Krisen. Untemehmensgeschichte der Fried. Krupp
AG 1914-1924/25, in: Krupp im 20. Jahrhundert. Die Geschichte des Unternehmens vom
Ersten Weltkrieg bis zur Gründung der Stiftung, hrsg. von Lothar Gail. Berlin 2002,
S. 15-165.
8 Baron von Stumm, Advocate of Feudal Capitalism, in: Journal of Central European Affairs
22(1962), S. 271-285.
9 Thomas Welskopp, Betriebliche Sozialpolitik im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Eine
Diskussion neuerer Forschungen und Konzepte und eine Branchenanalyse der deutschen und
amerikanischen Eisen- und Stahlindustrie von den 1870er bis zu den 1930er Jahren, in:
Archiv für Sozialgeschichte 34 (1994), S. 333-374.
10 Ralf Banken, Saarabien und Königreich Stumm - Die Saarregion als Musterland patriar¬
chalischer Sozialpolitik?, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 49 (2001),
S. 111-147.
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