Schlussbemerkung
Die Einführung der Gichtgasmotoren in der Eisenhüttenindustrie bewirkte zu
Beginn des 20. Jahrhunderts die Umkehrung des herkömmlichen Verhältnisses
Kohle und Erz. Noch 1878 verwies der luxemburgische Eisenindustrielle Emile
Metz vor der Eisen-Enquete-Kommission41 auf "das bis jetzt anerkannte, natur¬
richtige Prinzip, das Roheisen in der Nähe der Eisensteinfelder und das Eisen
[Metz meinte hiermit Puddelstahl] in der Nähe der Kohlen darzustellen !" Durch
die fortschreitende Nutzung der Hochofengichtgase, die den Kohlenbedarf der
Eisenindustrie zuerst im Verhüttungsprozess stark einschränkte, verschob sich
das bisherige Verhältnis der beiden Rohstoffe Kohle und Erz zueinander. Wäh¬
rend bisher das Erz vielfach zur Kohle kam, also beispielsweise das Roheisen
des Minette-Reviers in den Kohlenbezirken des Ruhrgebiets weiterverarbeitet
wurde, setzte mit Beginn des 20. Jahrhunderts eine Gegenbewegung ein. Nach
der Jahrhundertwende begannen rheinisch-westfälische Montankonzerne, sich
zunehmend für das Minette-Revier zu interessieren.
Durch die Einwirkung auf den Kostenfaktor Kohle machte die Energieverbund¬
wirtschaft die Errichtung großer integrierter Hüttenwerke auf der Minette derart
vorteilhaft, dass sogar rheinisch-westfälische Großbetriebe wie die Gelsenkir-
chener Bergwerks-AG und Thyssen dazu übergingen, "aus einem Guss" konzi¬
pierte, vollständig integrierte Großanlagen im Minettegebiet zu errichten, so die
Adolf-Emil-Hütte der GBAG bei Esch a.d. Alzette und die Thyssen-Hütte im
lothringischen Hagendingen.
Neben marktstrategischen Gesichtspunkten ist die Energieverbundwirtschaft
aufgrund der Einführung der Großgasmaschinen zweifelsohne auch als ein
wichtiger Faktor der Untemehmensintegration zu betrachten, wie dies die Her¬
ausbildung großer Konzerne in der Zeitspanne zwischen Jahrhundertwende und
Erstem Weltkrieg belegt (siehe die erwähnten Beispiele Deutsch-Lux und AR-
BED). Diese neue Integrationsphase, die sich grenzüberschreitend auf die ge¬
samte Großregion Saar-Lothringen-Luxemburg auswirkte, sollte übrigens einen
nachhaltigen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung der Eisen- und Stahl¬
industrie des 20. Jahrhunderts ausüben. Es erfolgte in der Tat eine neue Festle¬
gung, Hierarchisierung und Spezialisierung der Produktionsstandorte, die für
etwa ein Dreivierteljahrhundert Bestand haben sollte (wie dargelegt anhand des
Beispiels Differdingen-Rümelingen-St. Ingbert).
Welche weit reichende Bedeutung die Einführung der Gichtgasmotoren für die
Energiewirtschaft im Allgemeinen hatte, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass die
Eisenhütten nicht nur die zum eigenen Betrieb erforderliche Kraft zu erzeugen
vermochten, sondern darüber hinaus ab den 1920er Jahre zu Hauptproduzenten
der in den Minette-Revieren Luxemburg und Lothringen benötigten elektrischen
Energie wurden. Hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Tragweite kann diese be-
43 Vgl. Protokolle der Eisen-Enquete-Kommission, 1878, S. 212.
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