unterschiedlichster Form haben diese Region über die Jahrhunderte charakteri¬
siert und vielfältig geformt. Sie verschärfen aber nicht nur Gegensätze, sondern
begründen oft auch, vor allem durch faktische oder völkerrechtliche Grenzver¬
schiebungen, Kooperationen im Industriebereich. Solche Konstellationen
betreffen nicht nur den Saar-Lor-Lux-Raum, sie unterscheiden aber diese Region
von weiter im Binnenland liegenden Industrielandschaften wie der Ruhr, die
trotz der Beherrschungsversuche nach beiden Weltkriegen nicht immer von
neuem ihre nationale Zugehörigkeit wechselten.
Heinz Quasten zeigt für das 19. und 20. Jahrhundert die enge Verflechtung von
Rohstoffstrukturen und -qualitäten, Transportkosten, Betriebsverfassung sowie
politischen Grenzziehungen und Entscheidungen auf. Sie erklären, wie auch
Hans-Walter Herrmann und Jacques Maas darlegen, die Standortchancen und
-nachteile der Saarregion im Vergleich zu Ruhr, Lothringen und Luxemburg
ebenso wie die Vernetzungen der Schwerindustrien dieser Regionen miteinander
und die vielfältigen Phasen, in denen die Standortfaktoren sich diachronisch
veränderten. Für die Saarregion war dabei, wie in manchen anderen Regionen,
bis nach dem II. Weltkrieg die Verzahnung der Steinkohle ge w Innung mit der
Eisen- und Stahlerzeugung charakteristisch. Standortnachteile konnten auch zu
technischen Innovationen zwingen, wie H.-W. Herrmann für die Saar und Maas
für Luxemburg zeigen, und sie konnten Unternehmensstrategien nachhaltig
prägen wie bei der Gründung der ARBED 1911, die zur Jahrtausendwende in
der Arcelor aufging. Modemisierungsgefälle sind ein wurkungsmächtiger grenz¬
überschreitender Transfer- und Verflechtungsfaktor.
Aus all diesen Komponenten ergibt sich ein breiter Fächer unterschiedlich
gestalteter Überlagerungen, Transferprozesse und Wechselwirkungen, sie be¬
wirken aber auch Abschottungsvorgänge.8 Deutsch-französische Struktur¬
gegensätze,, wie sie im Bereich der Gewerkschaften und der Mitbestimmung
Sylvain Schirmann und Hans-Christian Herrmann veranschaulichen, können
dabei ebenso eine Schlüsselrolle spielen wue kulturelle LInterschiede und hier¬
durch bedingte Missverständnisse. Die spezifische Betriebskultur deutscher
Prägung, wie sie sich insbesondere in der Montanmitbestimmung niedergeschla¬
gen hat, konnte angesichts der in diesem Punkt entgegengesetzten französi¬
schen Betriebsführungstraditionen bis 1957/59 an der Saar nicht zur Geltung
kommen. So fühlten sich hier beispielsweise bei der französischen Dominanz im
8 Zum Vorschlag einer Typologie von Wirkungsfaktoren grenzüberschreitender Vernet¬
zungen siehe Rainer Hudemann, Saar-Lor-Lux - Vernetzungen in einer europäischen
Kemzone. Einleitung zu: Stätten grenzüberschreitender Erinnerung - Spuren der Vernetzung
des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière
- Traces et réseaux dans l'espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, hrsg. von Rainer
Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Halm u. Gerhild Krebs. Saarbrücken 2002, 22004,
gefördert durch die Europäische Union im Rahmen des Programms Interreg II, publiziert im
Internet: http://www.memotransfront.uni-saarland.de. Die Beiträge dieser Publikation
enthalten zahlreiche weitere Literaturhinweise zu Gelen Einzelbereichen der Industriekul¬
tur in diesem Grenzraum.
16