Full text: Forschungsaufgabe Industriekultur (37)

Zweitens ist die Technik in den Rahmen der politischen Bedingungen zu 
stellen. Das gilt zum einen für die nationalen Herrschaftsverhältnisse - vor allem 
in einem Grenzraum, in dem die Grenzen nicht stabil sind. Zum andern können 
politische Faktoren am Verhältnis von Staat und Unternehmertum besonders 
prägnant herausgearbeitet werden. Politische Bedingungen vermochten die 
Chancen oder Schranken für technologischen Transfer nachhaltig zu beein¬ 
flussen, wenngleich solche Wirkungen im einzelnen höchst unterschiedlich 
verliefen. Die starke Stellung des Staates im Bergbau bezeichnet im Vergleich 
eine der wichtigsten Eigenheiten der Saarregion, welche Verhaltensweisen und 
Strukturen gleichermaßen prägte. Dem Gewicht administrativer und fiskalischer 
Strukturen wird ebenso nachgegangen wie den Wirkungsmöglichkeiten von 
Unternehmerpersönlichkelten und Beamten, von denen die Ausformung der 
unterschiedlichen Untemehmenskulturen wesentlich geprägt wurde. Ralf Ban¬ 
ken wählt hier den Zugang vom Bergbau aus, Klaus Tenfelde den Unternehmer- 
Vergleich zwischen Stumm und Krupp. Hans-Christoph Seidels Vergleich der 
Ausländerarbeit im II. Weltkrieg an Saar und Ruhr bringt die Verschränkung der 
Grenzsituation einerseits mit den Rahmenbedingungen der Diktatur und der 
Kriegswirtschaft andererseits in die Analyse der Industriekultur ein, er geht 
Kommunikationsstrukturen und dem Alltag rassistischer Betriebspolitik nach. In 
den deutschen Übergriffen auf die lothringische und luxemburgische Industrie 
im II. Weltkrieg werden in einem solchen Grenzraum, beispielsweise in der 
Tätigkeit von Hermann Röchling,7 auch die Ambivalenzen von Vernetzungen 
besonders deutlich. 
Drittens treten zu den Untemehmerkulturen die Lebenswelten der Arbeiterkultur 
und -organisation. André Gounot analysiert sie am Beispiel des Sports in seiner 
Verflechtung mit politischen und weltanschaulichen Orgamsationskulturen, 
sozialen Schichten und nationalen Eigenheiten. Susanne Nimmesgern verfolgt 
den Wandel der Lebenswelten der Arbeiterfrauen an der Saar in ihren kulturellen, 
ökonomischen, sozialen und alltagsgeschichtlichen Dimensionen durch das 20. 
Jahrhundert. Die spezifischen politischen Bedingungen an der Saar nach den 
beiden Weltkriegen prägten tiefgreifend die regionale Gewerkschaftsbewegung 
und formten - bei wesentlichen Unterschieden, vor allem hinsichtlich des nach 
1945 sehr starken sozialpolitischen Engagements des Staates - Arbeitskämpfe zu 
nationalen Auseinandersetzungen um, wie Hans-Christian Herrmann darlegt. 
Gerade dieses transnationale Erbe entfaltete aber auch seine konstruktive Ambi¬ 
valenz in dem Aufbau des international ersten Interregionalen Gewerkschaftsrates 
IRG, der 1976 für den Raum Saar-Lor-Lux gegründet und zur Pilot-Organisation 
für bisher 33 IRG auf europäischer Ebene wurde. Sylvain Schumann stellt ihn 
dar. Organisationsstrukturen und Kulturen der Arbeiterschaft als Formierungs¬ 
7 Vgl. Hans-Christian Herrmann, Plante Hermann Röchling 1940 ein zusammenhängendes 
Montanrevier Saar-Lor-Lux? in: Zs. für die Geschichte der Saargegend 42 (1994), S. 214- 
224. 
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