der Thomasstahlanteil schon 1969/70 auf 10,2% gesunken.93 Der Niedergang
der Thomasstahlwerke lag nicht nur daran, dass sie den immer höher geschraub¬
ten Konsumentenansprüchen an Massenstahl nicht genügen konnten und dass
immer schärfere Auflagen des Umweltschutzes zu beachten waren, sondern auch
daran, dass bei geänderter Rohstoffversorgung phosphorhaltige Erze, wie die
Minette, auf deren Verarbeitung ja das Thomasverfahren ausgerichtet war, immer
weniger zum Einsatz kamen. In richtiger Einschätzung der sich abzeichnenden
Tendenzen hatte schon 1968 der Vorsitzende der Eisenhütte Südwest Hans
Beizer öffentlich die Meinung vertreten, dass die Saarhütten ihren Rohstahl in
"weitgehend abgeschriebenen Anlagen produzieren" und sie mit Sicherheit
eines Tages gezwungen sein werden, Hochöfen und Thomasstahlwerke durch
neue Anlagen zu ersetzen.94
Die Dillinger Hütte stellte 1969 die Produktion von Thomasstahl em und ging
zum Oxygenstahlverfahren über. Burbach legte stufenweise von 1972-1975
seme Thomaskonverter still, in Völklingen wurde die letzte Charge Thomasstahl
am 15. Dezember 1974 Verblasen Da die Betriebsgenehmigung für das Neun-
kircher Thomasstahlwerk Mitte 1977 aufgrund schärferer Emissionsbestimmun¬
gen auslief und die Errichtung einer Entstaubungsanlage am alten Standort nicht
möglich gewesen wäre, sah ein 1974 verabschiedetes Umstrukturierungspro¬
gramm die Stilllegung des Thomaswerks und den Bau eines Sauerstoffblasstahl¬
werks nach dem OBM-Verfahren (Oxygen-Bodenblas-Metallurgie) vor. So wurde
Ende Dezember 1976 in Neunkirchen die letzte Charge Thomasstahl in der
Bundesrepublik Deutschland erblasen.96 97 Im folgenden Jahr wurde in Luxemburg
die Produktion von Thomasstahl eingestellt,'1 Ende 1980 auch in Lothringen.98
Siem ens-M artirr'
Das Verfahren ist benannt nach Wilhelm, dem weniger bekannten Bruder von
Werner Siemens, und nach Vater und Sohn Emile und Pierre Martin aus der
Gegend von Angouleme. Es stellt eine Weiterentwicklung des Puddelverfahrens
dar, wird daher mitunter als Herdfrischverfahren bezeichnet, mit dem LJnterschied,
dass es mit viel höheren Temperaturen (1600-1700°C), die durch Regenerativ¬
feuerung erreicht wurden, arbeitete und deshalb flüssigen Stahl ergab. Dem
93 Frühauf (Anm. 5), S. 151.
94 Bitter notwendiger Konzentrationsprozeß der saarländischen Hüttenindustrie, in: Der
Hüttenmann bei Röchling 22 (1968) 5/6, S. 14-15.
95 Weiße Wolken statt brauner Rauchschwaden. Die Epoche des Thomasstahls ging in
Völklingen nach 83 Jahren zu Ende, in: Der Hüttenmann 29 (1975) 1-3, S. 6-10.
96 Frühauf (Anm. 5), S. 156.
97 Kieffer (Anm. 68), S.164.
98 Moine, Histoire techruque (Anm. 67), S. 241.
99 F. Bartu, Hundert Jahre Regenerativfeuerung. Der Werdegang des Siemens-Martin-Ofens,
in: Stahl und Eisen 78 (1958), S. 713-733.
125