die wir kennen wobei aus der lateinischen Formulierung nicht eindeutig
hervorgeht, ob der skizzierte Raum nun als ein Gebiet charakterisiert werden
soll, in dem zwei unterschiedliche, klar voneinander getrennte Sprachgemein¬
schaften leben - so die gängige Interpretation der Stelle 15 -, oder ob auf ein
eigentliches Sprachmischgebiet angespielt wird. Das Bild von den ethnischen,
sprachlichen und kulturellen Grundlagen des mittelalterlichen Lothringen wird
vielmehr gerade in den Philologien bis heute bestimmt durch die in einem
gewissen Sinne bahnbrechenden, mit den Namen Franz Steinbachs, Franz Petris
und Theodor Frings verknüpften Ansätze der ,Kulturraumforschung4 der
sogenannten ,Rheinischen1 Schule, die vor rund 70 Jahren zum ersten Mal die
unterschiedlichen Perspektiven und Erkenntnisinteressen der verschiedensten
Disziplinen bei der Beurteilung historischer Räume zu großen, methodisch
richtungweisenden Synthesen zusammenzuführen versuchten.16 Sie gingen
durchweg von der Prämisse aus, daß die gegenwärtige Verteilung politisch¬
rechtlicher, sprachlicher und kultureller Phänomene im Raum zurückweist auf
längst zerrissene historische Einheiten und Zusammenhänge, die sich aus bis
heute faßbaren Relikten bis zu einem gewissen Grad rekonstruieren lassen.17
Eine immer wieder konstatierte Kongruenz von Territorialgrenzen, Mundart¬
grenzen und Brauchtumsgrenzen wurde dabei zum Reflex sprachlicher Gro߬
bewegungen, die man durch weit übergreifende historische Gegebenheiten
ausgelöst sah;18 die Isoglossen selbst wurden zu Demarkationslinien, an denen
ein regelrechter ,Kampf4 gegensätzlicher ,Kulturströmungen1 zur Entscheidung
gelangte.19 In diesem Sinne begriff man auch die deutsch-französische
Sprachgrenze als eine „klare Grenzlinie zweier großer Kulturzentren, die sich
nach der Verwirrung der Völkerwanderungszeit immer schärfer gegeneinander
abgegrenzt haben“.20 Methodisch sollte sie, die „wo kein[en] Schnitt, doch
überall eine deutliche Naht im Kulturganzen“21 darstelle, „als die weithin
sichtbare Brandungslinie gegensätzlicher Sprach-, Bevölkerungs- und Kultur¬
wellen aufgefaßt“22 werden; in ihr kulminierten die permanenten Mischungs¬
und Ausgleichsprozesse, die als Ergebnis der Begegnung von Sprachen und
fecunda. Gens est mixta ex Gallis et Germanis. Fontes habet mirabiles et médicinales, ex
quorum potu langores varii sanantur (zitiert nach Herrmann: „Verbindungen“, S. 130).
15 Vgl. z.B. Lévy: Histoire, Bd. 1, S. 163.
16 Forschungsüberblick dazu z.B. bei Löffler: Probleme, S. 144f.; Gerlich: Landeskunde, S.
146ff.
17 Ausführlich dazu Haubrichs: „Germania submersa“, S. 634.
18 Exemplarisch dazu anhand der rheinischen Verhältnisse Aubin/Müller/Frings: Kultur¬
strömungen.
19 Über die „quasi-militärische Terminologie“ der Rheinischen Schule, die „von einem
Modell des Konfliktes, ja des .Kampfes* von Sprachen“ ausgeht, Haubrichs:
„Verfertigung“, S. 99.
20 Steinbach: Studien, S. 179.
21 Petri: „Erforschung“, S. 3.
22 Ebd. S. 17.
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