Martina Pitz
Schreibsprachgeschichte im Sprachgrenzbereich -
Reflex einer ,Mischkultur4?
Methodische Überlegungen zu Entwicklungen des 13. und 14.
JAHRHUNDERTS MIT BEZUG AUF DIE LOTHRINGISCHE HERRSCHAFT
BOULAY / BOLCHEN
Linguistische Untersuchungen in sprachgrenznahen Räumen nehmen, sofern sie
aus historisch-vergleichender Perspektive angelegt sind, in erster Linie Fragen
der sprachlichen Genese solcher Landschaften in den Blick, die im Laufe ihrer
Geschichte über gewisse Zeiträume hinweg mehrsprachig wurden, um dann in¬
folge sprachlicher Assimilationsprozesse und unter Ausbildung einer linearen
Sprachenscheide wieder zur Einsprachigkeit zurückzukehren - wie dies gerade
auch im frühmittelalterlichen Lothringen geschah, als im Zuge der durch die
»Landnahme‘ Chlodwigs eingeleiteten fränkischen Expansion Sprecher germa¬
nischer, respektive fränkisch-althochdeutscher Mundarten in Kontakt mit einer
autochthonen galloromanischen Bevölkerungsschicht traten.1 Gefragt wird nach
dem Zeitpunkt und nach den Modalitäten der Entstehung von Sprachgrenzen,2
wobei im Falle der deutsch-französischen, vom Schweizer Mittelland zum
Ärmelkanal ziehenden Sprachgrenzlinie inzwischen weitgehend Einigkeit dar¬
über besteht, daß sie sich durch einen allmählichen Absetzungsprozeß, durch
eine kulturelle Entmischung von romanischer und germanischer Welt etwa im
8. Jahrhundert herauszubilden begann und daß sie in ihrem heutigen Verlauf
das Ergebnis Jahrhunderte währender Ausgleichserscheinungen ist, auf die po-
Zur sprachlichen Situation des frühmittelalterlichen Lothringen vgl. z.B.
Buchmüller/Haubrichs/Spang: „Namenkontinuität“, S. 105ff.; Buchmüller-Pfaff:
Siedlungsnamen, S. 750ff,; Haubrichs: „Wamdtkorridor“; Pitz: „Toponymie“. Zur
Siedlung der Franken in der Belgica und in den germanischen Provinzen nach dem
Niedergang des römischen Reiches sowie zur politischen Geschichte des Raumes in
frühmittelalterlicher Zeit vgl. z.B. Angenendt: Frühmittelalter, S. 53-111; Stein:
„Bevölkerung“. Zur Genese Lotharingiens als politischer Raum vgl. z.B. Parisse:
Lotharingien, S. 86-99; Parisse: „Lotharingie“, S. 3Iff.; zu den siedlungsgeschichtlichen
Prämissen ausführlich Puhl: Gaue.
Dazu methodisch richtungweisend Sonderegger: „Ausbildung“; Haubrichs:
„Verfertigung“, S. 99ff.; für die westlichen, heute jenseits der Sprachgrenze situierten
Teile des fränkischen Reiches auch Haubrichs: „Germania submersa“.
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