Full text: Grenzkultur - Mischkultur?

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Ich komme zum zweiten Punkt: Was sollte an die Stelle der alten Festungs¬ 
anlagen treten? Nach den langen Verhandlungen mit den staatlichen Behörden 
konnten in Landau, Schlettstadt und auch in Beifort entweder die gesamte 
Festung oder wenigstens Teile der Festung geschleift werden. Damit zeigte sich 
symbolisiert im Stadtbild, daß nicht mehr das Militär, sondern die Bürger den 
Führungsanspruch in der Stadt innehatten. Nun wurde begonnen, eine bürger¬ 
liche Stadterweiterung zu planen. 
In Landau war man dabei besonders aktiv. Das Ausgreifen über die eigenen 
Grenzen, wie es sich bereits bei der Koordinierung mit den anderen Festungs¬ 
städten gezeigt hat, dokumentierte man nun dadurch, daß der Stadtrat aus¬ 
wärtige Städtebauer mit einem Erweiterungsplan beauftragte. Die Stadtplanung 
war eine noch ganz junge Disziplin, die sich erst allmählich entfaltete. So sehr 
man mit gewissem Stolz auswärtige Fachleute heranzog, so wenig scheute man 
sich, deren Sachverstand zu widersprechen. Als Landau einen umfassenden 
Erweiterungsplan von zwei Frankfurter Architekten erhielt, gingen deren 
Vorstellungen dem Gemeinderat nun doch zu weit. Ein weiterer aus Speyer 
vorgelegter Plan wurde ebenfalls kritisiert. Kurzerhand zeichneten die Herren 
Stadträte einfach selbst einen Plan, der dann während der Umsetzung zwar 
modifiziert werden mußte, aber zunächst einmal die Grundlage aller weiteren 
Arbeiten darstellte.17 
Sowohl im Landauer als auch im Schlettstadter Plan wurde anstelle des bisheri¬ 
gen Festungsberings eine Ringstraße geführt, von der in die Landschaft aus¬ 
strahlend sich die Stadt weiter entwickeln sollte. Wenn man möchte, kann man 
darin das Vorbild der Wiener Stadterweiterung erkennen. Belegen läßt sich eine 
bewußte Bezugnahme zur Metropole der Donaumonarchie allerdings nicht. Es 
ist auch nicht so wichtig, wer oder was hier in einem ganz unmittelbaren Sinne 
Pate stand. Wesentlicher ist die Haltung, die hinter den Planungen stand. Die 
feste Grenze zwischen Stadt und Land sollte aufgehoben werden. In Schlettstadt 
hieß es: „II est si agréable d’être à la ville et à la campagne en même temps.“18 
Dies bedeutete nun nicht, daß man sozusagen den Bauernhof in die Stadt holen 
wollte. In den Festungsstädten, die immer auch Ackerbürgerstädte waren, hatte 
man in dieser Hinsicht auch keinen Nachholbedarf. Ganz im Gegenteil bemüh¬ 
ten sich die Verwaltungen gerade in Frankreich schon seit der großen Cholera- 
Epidemie von 1832, die Städte zu „hygienisieren“. Bürgerliche Sauberkeits¬ 
vorstellungen sollten den Menschen nahegebracht werden. Dies gelang mit zwar 
langsamem, aber stetig wachsendem Erfolg. Also mußten die Misthaufen von 
der Straße entfernt werden, es mußten die kloakenhaften Kanäle in der Stadt 
17 Vgl. Schech 1912, S. 19f. 
18 Archives Municipales Sélestat 26/26, Eingabe Ringeisen, 15.6.1875. 
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