Weise trotz ihrer patriotischen Grundorientierung stärker demokratisch-soziale
Ideen mitbrachten.
Für den Autor persönlich kamen gar nicht zu überschätzende Anregungen
hinzu, die er in der Kanzlei des Fürsten Lichnowsky erhielt, des letzten kaiser¬
lichen Botschafters in London. Dazu faszinierten ihn die Landsleute Johann
Sebastian Bach,*4 Joseph von Eichendorff, Hermann Stehr und Gerhart
Hauptmann, von der tschechischen Seite der mährisch schreibende Dichter Petr
Bezruc und sein Komponist Leos Janäcek, von der polnischen Adam
Mickiewicz. Dabei überschätzte Scholtis die geistige Ausstrahlung, die sich aus
der volksmäßigen Gemengelage ergab, gewiß nicht. Vielmehr war er sich zeit¬
lebens nur zu bewußt, daß er besonders als Schriftsteller schon von den sprach¬
lichen Voraussetzungen her aus der Not eine Tugend machen müsse:
„Im Durcheinander staatlicher und Volkstumsgrenzen wanderte ein mehr¬
fach getuppeltes Sprachelement über die Jahrhunderte. Eine vorgestreckte,
preußisch bedingte Insellage Schlesiens endlich sollte das sprachliche Auf
und Ab noch steigern, die Substanzen noch beschleunigter zersetzen. Wie
man etwa in Berlin über sprachliche Unbeholfenheiten des preußischen
Oberschlesiers schmunzelte, so schmunzelte man über diesen Menschen in
Warschau, wenn er polnisch radebrechte, in Prag, wenn er etwa tsche¬
chisch stammelte. [...]
Dieser Sprachenzwitter entzog sich langsam grammatikalischen Gesetzen.
Das war ein Sprachmonstrum, vollgestopft mit gigantischen, schief¬
gestülpten, halsbrecherischen Bildern. Übel und anrüchig, von hieb- und
stichfester Phantastik strotzend voll, allen Normen zum Trotz eine ganze
Welt auf den Kopf stellend. Man möge bedenken, was von diesem Prozeß
in dieser Menschenseele als Zwangsvorstellung haften blieb und fortwirkt,
als nationalpolnische, tschechische oder deutsche, territoriale Behauptung.
[...] Vier quadratische Flächen könnten das sprachliche Problem ethnogra¬
phisch und ethnologisch einigermaßen markieren. Der Norden rechts der
Oder preußisch, der Süden polnisch, der Norden links der Oder deutsch,
der Süden mährisch, nebenher sudetendeutsch und österreichisch meliert.
Die rechte Oderseite slawopreußisch verworren, die linke zur größeren
Hälfte historisch deutsch legitimiert, mit starken Tendenzen nach Wien.
Und ein volkstümliches Motto könnte lauten: ,Mänsch, mach dyr kain
draus, es war immer asu.‘“15
Wenn Scholtis also sein Leben lang für eine auch geistig getragene Koexistenz
in einem Vielvölkergebiet plädierte, so tat er dies im Bewußtsein, daß bereits
die sozioökonomischen Voraussetzungen seiner Heimat einer erwünschten kul¬
turellen Blüte nicht allzu günstig waren. Und er wußte genau, wie schädlich
zudem alle Versuche wirken mußten, das Wenige, das im Zusammenhang un¬
terschiedlicher Ethnien entstanden war, auch noch ins Prokrustesbett national-
I4 Bezeichnend auch die literarische Umsetzung seiner Bach-Begeisterung im Roman Das
Eisenwerk (S. 55).
U Scholtis: Bolatitz, S. 28f; vgl. ders.: Reise, S. 72.
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