Hans-Christian Maner
Unierte Kirchen als Kirchen der Grenzräume und
Nationsbildung
Ostmitteleuropa als Grenzregion
Einführende theoretisch-methodologische Bemerkungen
Die linierten Kirchen als Kirchen der Grenzräume und Nationsbildung im Osten
Europas wurden mit den politischen Umbrüchen Ende der 80er Jahre zu einem
aktuellen Mittelpunkt. Fragen nach deren historischer Gewordenheit und
Relevanz stellten sich daher immer drängender.
Die Großregion, die hier im Mittelpunkt steht, wird gemeinhin unter der
Bezeichnung „Ostmitteleuropa“ subsumiert. Der Begriff ist selbst nicht ein¬
deutig durch Grenzen von Völkern oder Nationen geschichtlich fest Umrissen.
Ostmitteleuropa gilt als „Mischzone aus ebenso produktiven wie explosiven
Übergangs- und Grenzlandschaften“. Die Teilregionen im Grenzgebiet zwi¬
schen Polen, der Ukraine, der Slowakei und Ungarn werden auch heute noch
als „Grenzlandschaften“ bezeichnet.!
Grenzen haben zur Formierung von Identitäten und Gegenidentitäten beigetra¬
gen. Drei Elemente charakterisieren eine Grenze: ein Territorium, verschiedene
„ursprünglich voneinander unabhängige Völker“ und der Prozeß, durch den
Beziehungen zwischen zuvor getrennten Gesellschaften innerhalb dieses
Gebietes gegenseitiger Durchdringung entstehen, „sich entwickeln und schlie߬
lich zu Kristallisationen führen“.2 Daraus wird deutlich, daß im folgenden
kulturelle Grenzen im Mittelpunkt stehen, die mit geographischen oder politi¬
schen nicht übereinstimmen müssen. Kulturelle Grenzen kommen in der
Sprachverwendung, Bildungseinrichtungen, Formen alltäglicher Geselligkeit,
öffentlicher Kommunikation und religiösen Praktiken zum Vorschein.3
Schlögel, Karl: Die Mitte liegt ostwärts. Die Deutschen, der verlorene Osten und
Mitteleuropa, Berlin 1986, S. 13; dazu auch Dohm, Verena: Reise nach Galizien.
Grenzlandschaften des alten Europa, Frankfurt am Main 1993.
Osterhammel, Jürgen: „Kulturelle Grenzen in der Expansion Europas“, in: Saeculum 46
(1995), S. 112-113.
Hierzu auch die Beiträge des Symposiums „Kulturgrenzen und nationale Identität“ vom
5.-7. April 1993, veröffentlicht in: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 30 (1993/94).
297