weilt, die jetzt den ankommenden Eroberern Zufällen. Statt Arkadien hier eher
ein Argonauten-Mythos, manchmal aber beides zugleich. Die Argonauten der
Neuzeit kommen meist aus dem verlorenen Osten („zza Buga“ - [„von jenseits
des Bug“]).
2. Zur Etymologie des Wortes kres
Nicht irrelevant für die kulturelle Verankerung der Kresy ist die Etymologie
und die spätere semantische Entwicklung dieses Wortes. Es ist die Pluralform
des Substantivs kres (inzwischen zum plurale tantum erstarrt). In der naiven
Volksetymologie (sowie in manchen älteren Wörterbüchern, die dieses Bewußt¬
sein unkritisch widerspiegeln) wird kres mit einem anderen Wort, nämlich
kresa ,Linie* assoziiert. Linguisten gehen hier von unterschiedlichen Ur¬
sprüngen aus. Slawski (SE) leitet kres vom mittelhochdeutschen kreiz bzw.
mittelniederdeutschen kres her; dagegen wäre kresa eine unabhängige Ent¬
lehnung vom mittelhoch- und mittelniederdeutschen kritz. Auch Kluge (EW)
betrachtet den Kreis im Deutschen als Urwort (*kraita-), von dem das Verb
krizen ,eine Kreislinie ziehen* stamme. Das polnische Zwillingswort kresa ist in
diesem Zusammenhang insofern interessant, als daß man es ursprünglich mit
der linearen Bedeutung einer »Grenzlinie* und nicht mit der territorialen eines
»Grenzgebietes* auch im Fall von Kresy zu tun hatte. Gloger formuliert in
seiner Encyklopedia staropolska (1900-1903) die Vermutung, daß die Bezeich¬
nung Kresy aus dem Militärdienst stamme, der entlang der ehemaligen Grenze
im Frontierland Podolien und der Ukraine (so bei Gloger) abwechselnd (jeweils
von demjenigen, an den eine „kreska, kresa** ausfiel) geleistet wurde.
Offensichtlich sind hier formal nahe stehende Germanismen im Sprach¬
bewußtsein schon längst verschmolzen. Es muß gleich gesagt werden, daß diese
geographische, auf die Landkarte Bezug nehmende Bedeutung relativ spät bei
dieser alten Entlehnung erscheint. Als Neusemantismus finden wir zum ersten
Mal einen Beleg bei Wincenty Pol in seinem Poem Mohort (1855), das eine
Apotheose des Rittertums ist. Bei keinem anderen Romantiker vor ihm ist eine
solche Verwendung zu registrieren; das Schaffen von Mickiewicz belegt nur die
ursprüngliche Semantik von kres als ,ein Ende von etwas*. Es ist möglich, daß
Wincenty Pol, der nicht wie seine großen Zeitgenossen emigrierte, sprachliche
Entwicklungen im Lande besser aufnehmen konnte.
Es drängt sich die Frage auf, warum die Bezeichnung Kresy ein Toponym für
die ehemaligen Osfrandgebiete Polens wurde, aber nicht für die Grenzgebiete
im slawisch-germanischen Raum, wie z.B. in Schlesien. Die im Laufe des XIX.
Jahrhunderts von Publizisten und Schriftstellern im preußisch-österreichischen
Besatzungsraum unternommenen Versuche, die Bedeutung des Wortes auch auf
diese Gebiete auszudehnen, scheiterten. Vermutlich nicht nur deshalb, weil sie
von weniger talentierten Autoren unternommen wurden. Im Jahre 1867 ist der
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