einer Brücke, die die Stadt Riga über die Rige, den Zufluß zur Düna, hatte
anlegen lassen.67 Aus einem sehr ausführlichen Memorandum vom August
1299 geht der Sachverhalt sehr deutlich hervor,68 den ich ganz knapp nenne:
Seit sehr langer Zeit wurde die Stadt durch Überschwemmungen und Eisgang
sehr geplagt. Die Eisschollen türmten sich oft so hoch, daß man mit ihrer Hilfe
über die Stadtmauern bequem klettern konnte, sofern die Mauern nicht vom
Einsturz bedroht waren. Die Stadt war dieser Situation hilflos ausgeliefert, bis
„endlich ein Fremder, ein kluger Mann und Experte in solchen Dingen nach
Riga kam, einen Rat fand und das Rezept demonstrierte, mit dem man den
genannten Gefahren begegnen könne“ (tandem quidam peregrinus, vir sapiens
et expertus in talibus, Rigam veniens, consilium adinvenit et modum
demonstravit obviandis periculis antedictis).
Es wurde eine Art Damm (structura) gebaut, offenbar in Kombination mit
einem Brückenbau (pons). In anderer Formulierung heißt es, die Rigaer hätten
quoddam opus, dictum bolewerch, in Dunam gebaut (construximus), zusätzlich
eine Brücke mit Durchlaß, d. h. mobilem Brücken(teil), dictum tochbruge,
„das ein Junge öffnen und schließen konnte“ - so leicht und perfekt war es
gefertigt.69 Die Stadt war mithin von ihren Sorgen befreit. Das Beispiel zeigt
etwas für mittelalterliche Verhältnisse ganz Erstaunliches: In der bedrohlichen
Situation erhält die Stadt den Rat eines Fremden, dem sie auch vertraut. Der
Ratschlag wird beherzigt. Wo sonst, ist man versucht zu fragen, folgt man dem
Rat eines (daherkommenden) Fremden? —
Doch die Geschichte ist nicht beendet, denn der Deutsche Orden, der mit
päpstlicher Erlaubnis den livischen Schwertbrüderorden 1237 inkorporiert
hatte und auch in Livland die Landesherrschaft mitsamt dem Brückenmonopol
beanspruchte, meinte, daß die Stadt Riga keine Mühlen und Fischwehren ohne
Einwilligung des Ordens anlegen dürfe. Solche gehörten auch zum Damm
bzw. dem Brückenbau über die Rige. Auf den Fremden hatte die Stadt zu
ihrem Nutzen gehört, den Deutschen Orden zu ihrem Schaden jedoch überse¬
hen - oder übergangen ...
*
Was sollte ein knappes Resümee festhalten?
Im Sinne der Rahmenthematik ist Riga unzweifelhaft eine Grenzstadt gewesen
und trotz fortschreitender Christianisierung des Baltikums in vielfacher
Hinsicht, insbesondere auch gegenüber dem weiteren Hinterland, Grenzbereich
geblieben. Die unterstellte These, daß Grenzkultur eine Mischkultur sein könn¬
67 UB 1, Nr. 567.
68 UB 1, Nr. 585.
69 UB\, Nr. 567 (zu 1297) Sp. 708f.
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