M. Spiegel ihre Monographie über die volkssprachliche Prosahistoriographie im Frank¬
reich des 13. Jahrhunderts.19
Man mag es bedenklich finden, wenn Elisabeth Lienert in einer Arbeit über den ,Troja¬
nerkrieg4 Konrads von Würzburg, also über ein Werk aus dem späten 13. Jahrhundert, die
„Schilderung höfischer Lebensformen [...] wesentlich als Form retrospektiver, gleichsam
,ritterromantischer4 Kunstübung [...] begreifen44 will.20 Man mag darauf insistieren, daß
bei der Beschäftigung mit historisierenden Phänomenen eine Historisierung des For¬
schungsgegenstands selbst, also eine Berücksichtigung des historischen Wandels, mehr als
angebracht ist. Aber im Grunde sind die in Germanistik wie Kunstwissenschaft21 gelegent¬
lich anzutreffenden beiläufigen Etikettierungen von Texten oder Bildern als „ritterroman-
dsch“ oder „archaisierend44 ebenso unschädlich wie unerheblich.
Spricht somit nicht alles für die Position Basterts, der nicht die angeblich verfehlte Ge¬
genwartsnähe Fuetrers in den Mittelpunkt stellt, sondern die literarische Kontinuität? Er
faßt seinen Standpunkt so zusammen: „Nicht als rückwärtsgewandte Utopie einer nostal¬
gisch die große Vergangenheit beschwörenden ,Ritterrenaissance4, aber ebenso wenig als
Indikator einer sich zum absolutisdschen Staatswesen neuzeitlicher Prägung transformie¬
renden Gesellschaftsformation sollte Fuetrers BdA [Buch der Abenteuer] [...] vorrangig
verstanden werden, sondern in erster Linie als Beispiel für die auch im späten 15. und
frühen 16. Jahrhundert noch ungebrochene Kontinuität eines jahrhundertealten litera¬
risch-kulturellen Wissens44.22 Kann auf das fragwürdige Edkett „Ritterromantik44 oder
„Ritterrenaissance44 nicht ganz verzichtet werden?
Das Etikett ist in der Tat entbehrlich - keinesfalls jedoch die ihm zugrundeliegende Fra¬
gestellung oder, vorsichtiger formuliert, die noch am ehesten präzisierbare Fragestellung!
Gerade Fuetrer bietet mit seiner fast perfekten Imitation des klassischen Mittelhochdeut¬
schen, also einer längst vergangenen Sprachstufe, einen irritierenden Befund, auf dessen
Deutung sich Basiert kaum eingelassen hat.23 Ungeübte Leser des 15. Jahrhunderts dürf¬
19 Spiegel, Gabrielle M.: Romancing the Fast. The Rise of Vemacular Prose Historiography in Thirteenth-Century Tran¬
ce, Berkeley/Los Angeles/Oxford 1993.
20 Lienert, Elisabeth: „Der trojanische Krieg in Basel. Interesse an Geschichte und Autonomie des Erzäh¬
lens bei Konrad von Würzburg“, in: Uterarische Interessenbildung im Mittelalter, hrsg. von Heinzle, Joachim,
Stuttgart-Weimar 1993, S. 266-279, hier S. 271.
21 Ich greife Dachs, Monika: „Zur Illustration des höfischen Romans in Italien“, in: Wiener Jahrbuch für
Kunstgeschichte 42 (1989), S. 133-154, hier S. 150 heraus: „In den märchenhaften Werken Gentiles da
Fabriano, Pisanellos und der Brüder Limburg lebte die romantische Ritterdarstellung noch ein letztes
Mal auf*.
22 Bastert: „Ritterrenaissance“ (wie Anm. 14), S. 488.
23 Bastert: Hof (wie Anm. 3), S. 158. Ausführlicher: Rischer: Uterarische Rezeption, S. 46-54, die auf den
„Denkmalscharakter“ der Sprache abhebt (S. 54). Noch nicht erforscht ist, seit wann es im Deutschen
sprachliche Archaismen gibt. Nur aus der Sicht der modernen Sprachwissenschaft erörtert das Thema
Thea Schippan: Funktionale Betrachtung von Archaismen (wie Anm. 4), in: Chronologische, areale und situa¬
tive Varietäten des Deutschen in der Sprachhistoriographie. Testschrift für Rudolf Große, hrsg. von Lerchner, Gott¬
hard / Schröder, Marianne /Fix, Ulla, Frankfurt a. M. u.a. 1995, S. 397-402. Besondere Vorsicht ist bei
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