Kreisen immer noch mit dem Schulbuch-Etikett „der letzte Ritter“ geläufig, mit seinem
1982 von Jan-Dirk Müller grundlegend behandelten Gedechtnus-Projekt* 6 seit langem das
Interesse der Germanistik genießt, wundert es nicht, wenn Peter Strohschneider 1986 in
einem Buch mit dem programmatischen Titel „Ritterromantische Versepik im ausgehen¬
den Mittelalter“ Interpretationen zu drei Texten vereint hat: zur „Mörin“ Sachsenheims,
zum „Persibein“ Fuetrers und zum „Teuerdank“ Maximilians.7 Der engere Begriff Ritter¬
renaissance der jüngeren deutschen Altgermanistik läßt sich also einigermaßen genau mit
vier Autorennamen umschreiben: Fuetrer, Püterich, Sachsenheim und Maximilian.
Versucht man sich dagegen dem umfassenderen Begriff zu nähern, gilt es forschungsge¬
schichtlich ein wenig weiter auszuholen. Bereits 1911 erschien von dem dänischen Ge¬
lehrten Valdemar Vedel in deutscher Übersetzung ein Bändchen „Ritterromantik“, zwei¬
ter Teil eines Werks über „Mittelalterliche Kulturideale“.8 Thema ist freilich nicht das
Spätmittelalter, sondern die als „romantisch“ eingeschätzte ritterliche Kultur des 12. und
13. Jahrhunderts in Frankreich und Deutschland. Beherrschend aber ist der Einfluß des
niederländischen Kulturhistorikers Johan Eluizinga geworden, der in seinem 1924 erstmals
erschienenen „Herbst des Mittelalters“ ein ungemein beeindruckendes Bild von der ritter¬
lich-höfischen Kultur des späten Mittelalters in Frankreich und Burgund entworfen hat.
Es geht ihm um die Erschönung des aristokratischen Lebens mit den Formen des Ideals,
das Kunstlicht der ritterlichen Romantik über dem Leben“.9 Huizinga hebt auf die extre¬
me Spannung zwischen Realität und Ideal ab: „Die Wirklichkeit ist heftig, hart und grau¬
sam; man führt sie auf den schönen Traum des Ritterideals zurück und errichtet darauf
das Lebensspiel. Man spielt in der Maske des Lancelot, es ist ein ungeheurer Selbstbetrug,
dessen schmerzende Unwahrheit nur dadurch ertragen werden kann, daß leiser Spott die
eigene Lüge verleugnet“.10
rieh abgesetzt und gefordert, man müsse vorsichtig mit dem Begriff „rückschauende Ritterromantik“
umgehen.
6 Müller, Jan-Dirk: Gedechtnus. Literatur und Hofgesellschaft um Maximilian /., München 1982.
Strohschneider, Peter: Kitterromantische Versepik im ausgehenden Mittelalter. Studien pc einer funktionsgeschichtli¬
chen Textinterpretation der „Mörin“ Hermanns von Sachsenheim sowie %P Ulrich Fuetrers „Persibein “ und Maximilians
I. „Teuerdank“, Frankfurt a, M./Bern/New York 1986.
8 Vedel, Valdemar: Kitterromantik. Mittelalterliche Kulturideale II, Leipzig 1911. — Ein weiterer Traditionsstrang
läßt sich zurückverfolgen, wenn man die kunsthistorische Forschung über die höfische Kunst Italiens
und Frankreichs um die Jahrhundertwende in den Blick nimmt. Für die zweite Hälfte des 13. Jahrhun¬
derts spricht Werner Weisbach: Francesco Peselini und die Komantik der Renaissance, Berlin 1901, S. 12 von
der französischen „Ritterromantik“. Ebd., S. 105: Das Ritter- und Turnierwesen wurde „mit einem ro¬
mantischen Schimmer umkleidet, während es doch kein unmittelbarer Ausdruck der Zeit mehr war“.
Vgl. auch Schlosser, Julius: „Die Werkstatt der Embriachi in Venedig“, in: Jahrbuch der kunsthistorischen
Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses 20 (1899), S. 220-282, hier S. 274: Ferrara als Hauptort der neuer¬
blühten romantischen Ritterdichtung.
9 Huizinga, Johan: Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in
Frankreich und in den Niederlanden, hrsg. von Kurt Köster, 11. Aufl., Stuttgart 1975, S. 47.
10 Ebd., S. 103.
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