Manche der in historiographi sehen Quellen wie auch in den Elisabeth zugeschriebenen
Texten aufscheinenden Rituale und Techniken zur Konfliktvermeidung bzw. -eindäm-
mung waren offenkundig auch noch zur Zeit der (Primär-)Rezeption der Saarbrücker
Prosahistorien bekannt und in Gebrauch. So haben sich zwar alle im 15. Jahrhundert
herrschenden Saarbrücker Regenten, unter ihnen ebenfalls Elisabeth, in unterschiedlicher
Intensität an militärischen Auseinandersetzungen beteiligt, nur selten sind die Kämpfe je¬
doch durch erfolgreiche militärische Operationen entschieden worden, sehr viel häufiger
wurden sie, wie seit Jahrhunderten üblich, früher oder später durch Vermittler beigelegt.
Graf Philipp I., Elisabeths Mann, beendete beispielsweise Streitigkeiten und Kämpfe ge¬
gen Metz im Jahr 1404, den sog. Vierherrenkrieg im Jahr 1409, Zwisdgkeiten mit Heinrich
Eckbrecht von Dürckheim im Jahr 1406, mit Graf Friedrich von Saarwerden zehn Jahre
später, mehrfach auch Auseinandersetzungen mit Pfalzgraf Stephan von Zweibrücken
durch Vergleiche bzw. Sühneverträge. Elisabeths Sohn Johann III. regelte Zwistigkeiten
mit Pfalzgraf Stephan von Zweibrücken 1452/53, mit Pfalzgraf Ludwig von Zweibrü-
cken-Veldenz im Jahr 1471 und ein Jahr später ebenfalls mit Graf Friedrich von Zweibrü-
cken-Bitsch durch Sühneverhandlungen30. Zuweilen läßt sich ein Graf von Nassau-
Saarbrücken bei Fehden zwischen anderen Parteien auch als Mediator nachweisen — wie
z.B. im Jahr 1399, als Philipp I. in einem Konflikt zwischen dem Erzbischof von Mainz
und dem Landgraf von Thüringen schlichtete —31 was wohl voraussetzen dürfte, daß er in
dieser wichtigen und angesehenen Funktion die Regeln politischer Kommunikation in
Krisensituationen, die sich sicherlich graduell, aber nicht unbedingt prinzipiell von den
überkommenen Ritualen unterschieden, beherrschte. Daß selbst ein verwaltungs- und
machttechnisch hochentwickelter Staat wie Burgund im 15. Jahrhundert nicht auf traditi¬
onelle Rituale wie die deditio verzichtete, demonstriert eindrucksvoll die Unterwerfung der
Stadt Gent am 30.7.1453. Damals zogen v. a. 25 Amtsträger der Stadt, nur mit Unterwä¬
sche bekleidet, Herzog Philipp dem Guten entgegen und baten ihn kniefällig um Gnade
die ihnen der Herzog auch (scheinbar) großzügig gewährte — nachdem ihm allerdings die
Genter zuvor einen erheblichen politischen Einfluß auf das Stadtregiment zugesichert
hatten32. Ein Indiz für ein noch intaktes Verständnis der in den Texten begegnenden un¬
geschriebenen Normen kann vielleicht auch in dem Faktum gesehen werden, daß keiner
der in den ersten beiden Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts entstandenen Erstdrucke von
‘Herpin), ‘Loher und Maller’ oder ‘Hug Schapler’ (die ‘Sibille’ wurde nie gedruckt) den
strukturell wichtigen und in den Handschriften immer wieder betonten, auf die Usancen
eines ritualisierten Konfliktverhaltens rekurrierenden Kausalnexus zwischen der Todes¬
strafe für die Feinde des Protagonisten und der Mißachtung einer zuvor geschlossenen
Sühne tilgt33.
30 Vgl. Ruppersberg (wie Anm. 4), S. 188ff.
31 Vgl. Ruppersberg (wie Anm. 4), S. 186.
32 Vgl zu diesem ganzen Komplex Arnade, Peter: Realms of Ritual. Rurgundian Ceremony and Civic Life in Late
Medieval Ghent, Ithaca, NY 1996.
33 Die Drucke des späteren 16. und die des 17. Jahrhunderts wären auf eventuelle Übernahmen oder Un¬
terdrückungen dieses wichtigen narrativen Motivs noch zu untersuchen.
473