Full text: Zwischen Deutschland und Frankreich

des Kaisers weit überragt. Dabei kommt ihm zugute, daß man sich nun nicht mehr mit 
den herkömmlichen Berichten von Schlachten und Einzelkämpfen aus den Chansons de 
geste zufrieden gibt, sondern die Handlungsmuster der Umarbeitungen mit den phantasti¬ 
schen und wunderbaren Geschicken anreichert, die die Ritter der arthurischen Tafelrunde 
im höfischen Roman erleiden müssen. Dadurch spielen Frauen eine immer bedeutendere 
Rolle im Geflecht des Erzählten, und die Liebe wird zum zentralen Thema aller geschil¬ 
derten Verwicklungen. Wie begeistert man diesen neuen Produkten der Spielmannszunft 
lauschte, zeigt eine Anordnung des Stadtrates von Bologna aus dem Jahr 1288, die den 
Spielleuten untersagte, auf öffentlichen Plätzen aufzutreten, da sie den Verkehr behinder¬ 
ten12. 
Die im 14. Jahrhundert entstandene anonyme .Entree dEspagne\ die wie eine Einleitung 
zum ,Rolandslied4 wirkt, läßt diese neuen Entwicklungen bereits gut erkennen: Während 
Karl der Große gegen die Mauren kämpft, verläßt Roland eigenmächtig dessen Heer und 
erobert die Stadt Noble, hinter deren Namen sich vielleicht Pamplona verbirgt. Bei seiner 
Rückkehr gibt Karl ihm eine Ohrfeige, woraufhin Roland ihn erneut verläßt, um im Ori¬ 
ent eine Reihe wunderbarer Abenteuer zu bestehen. Am Schluß der Geschichte - Ende 
gut alles gut - nimmt Karl ihn versöhnt wieder auf. Schon aus dieser kargen Inhaltsangabe 
wird deutlich, wie sich die Elemente von heldischem und höfischem Epos miteinander 
verbinden. Wie stark jedoch diese Verknüpfung ist, mag eine Einzelszene zeigen: Unter 
dem Namen Liones ist Roland auf heidnischem Gebiet angelangt. Hier wagt er es als ein¬ 
ziger gegen einen Wüterich anzutreten, der die Tochter des Perserkönigs töten will. Als er 
dabei ist, Teile seiner Rüstung anzulegen, kommt die junge Frau, die er verteidigen will: 
Angle resanble qi desande de nue. 
Vis oit bien feit e gardeüre agüe, 
Im char oit blanche come nif desendue, 
Color vermoil come graine vendue, 
Boche petite, danteüre menue, 
Oil oit riant, qant, ert plus ireschue; 
Sa blonde crine ne vos ai manteüe; 
So% äeln’a home, tant ait chiere barbue, 
Ne la querist avoir en si bra% nue. 
Rolant lagarde, trestot le sang li mue; 
Non la voudroit le ber avoir veüe [.. .]13 
(„Sie gleicht einem Engel, der aus den Wolken herabstieg,/ ihr Gesicht ist schön geschnit¬ 
ten, ihr Blick klar,/ ihre Haut weiß wie frisch gefallener Schnee, / rot wie Scharlachstoff,/ 
ihr Mund ist klein, die Zähne zierlich,/ im Zorn blitzen ihre Augen;/ noch gar nicht habe 
12 Vgl. zu diesem Themenkreis Krauss, Henning: Epica feudale e pubblico borghese. Per la storia poetica di Carlo- 
magno in Italia, Padua 1980 und dessen früheren Aufsatz „Ritter und Bürger - Feudalheer und Volksheer. 
Zum Problem des feigen Lombarden in der altfranzösischen und frankoitalienischen Epik“, in: Zeitschrift 
für romanische Philologie 87 (1971), S. 209-222; zur Ikonographie Rolands Lejeune, Rita / Sdennon, Jacques: 
Die Rolandssage in der mittelalterlichen Kunst, 2 Bde., Brüssel 1966. 
13 Thomas, Antoine (Hg.): L’entrée d’Espagne, chanson de geste franco-italienne., 2 Bde., Paris S.A.T.F. 1913, hier: 
Bd. 2, w. 12553-12563. 
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