führt der Versuch einer direkten Anbindung der literarischen Texte an politische Kons¬
tellationen nicht zu befriedigenden Resultaten: „Weniger eine manifeste politische Ten¬
denz als das Geschichts- und Gesellschaftsbild des selbstbewußten Dynasten“ — gemeint
ist Johann III. — „scheint sich denn auch in den Epenadaptionen einzuprägen“80. Einen
neuen und außerordentlich fruchtbaren Weg beschreitet Müller dann, indem er die auf¬
fälligen, in den Illustrationen der Prachthandschriften Johanns enthaltenen Wappenabbil¬
dungen analysiert. Er kann zeigen, daß neben den Wappen der Protagonisten der Hand¬
lung, allen voran dem Lilienwappen des französischen Königs, auch Wappen von Fürsten
Vorkommen, die zwar nicht im Text Erwähnung finden, aber zur politischen, ja auch ver¬
wandtschaftlichen Umwelt der Grafen von Nassau-Saarbrücken gehörten: Lothringen,
Baden, Österreich, Württemberg, Wittelsbach, Kurpfalz, Savoyen, Sponheim, Teck,
„einmal selbst das Wappen der Grafen von Saarbrücken und das der Grafschaft Heins-
berg-Loen, die Johann III. seit seiner Heirat mit der Erbtochter innehat“81. Die dem Vor¬
bild von Chronik-Handschriften verpflichtete Wappenauszeichnung der Parteien in den
Illustrationen der Epen dient im Rahmen der repräsentativen Ausgestaltung der Hand¬
schriften dazu, „die kollektive Verbindlichkeit des Geschehens heraldisch abzusichern“82.
Die quer zu den Bündnissen des Saarbrücker Hauses liegende Verteilung der Dynasten¬
wappen auf die feindlichen Parteien der Epen erweist, „daß dem Betrachter in der Epen¬
welt eine vertraute politische Konstellation begegnete“, gewissermaßen eine kulturelle
Kartierung des Adels, „nicht eine der rasch wechselnden territorialen Koalitionen, son¬
dern eine Gruppe, die sich über alle Differenzen hinweg ihrer ausgezeichneten Rolle im
Reich bewußt war und diese episch abstützte“83. Aktualisierende Lektüre erweckte gerade
diese „Gemeinschaftserfahrung“.
Es fragt sich, ob man dieses zweifellos tragfähige Funktionalitätskonzept der ,Gemein¬
schaftserfahrung4 nicht noch enger fassen kann — und damit komme ich auf einen gleich¬
falls in das Jahr 1989 zurückreichenden eigenen Erklärungsansatz84 — etwa im Sinne eines
speziellen literarischen Interesses des Saarbrücker Hauses.
Bei der Interpretation der Elisabeth-Epen im Kontext dieses Adelshauses muß man von
vier auffälligen, diese Epen auch von den französischen Vorlagen und im Kreise anderer
literarischer Produktionen der Zeit differenzierenden und individualisierenden Grundzü¬
gen ausgehen:
1) Die vier Epen Elisabeths bilden einen bewußt vermutlich erst von Elisabeth gestalte¬
ten Zyklus85, der von Karl dem Großen über die letzten Karolinger zur Begründung
der kapetingischen Dynastie durch den außerordentlichen Helden Hugues Capet führt
80 Müller (wie Anm. 78), S. 213f.
81 Müller (wie Anm. 78), S. 215f.
82 Müller (wie Anm. 78), S. 226.
83 Müller (wie Anm. 78), S. 224.
84 Haubrichs (wie Anm. 54), passim.
85 Vgl. o. Anm. 42.
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