Außer ORDO und STILUS kam noch ein weiteres Kriterium zur Anwendung. Im Unter*
schied zu diesen beiden Merkmalen geht es nicht von der Person des Absenders, sondern
vom Empfänger aus. Der Vergleich sämtlicher Briefe zeigt nämlich, daß hochadlige und
fürstliche Personen nach der Devise nobiles vositantur ausnahmslos im Plural, nicht edelfreie
jedoch von ersteren im Singular angesprochen wurden63.
Der Schlüssel für die Analyse des Briefformulars liegt, wie bereits angedeutet, in der
INSCRIPTIO. Von ihr ausgehend kann man unter Beachtung von ORDO und STILUS zu¬
nächst die Grundkonstruktion offenlegen, um von dort aus zu den feinen Nuancen vor¬
zudringen, die für den mittelalterlichen Absender wie Empfänger des Briefs gleicherma¬
ßen subtile wie wichtige Signale dargestellt haben. Klima und Strategien, unter denen die
Korrespondenzen geführt worden sind, sowie deren Veränderungen finden darin ihren
Ausdruck. Für die historische Interpretation sind sie vor allem deshalb wichtig, weil hier
falsche Einschätzungen sehr schnell zu unhaltbaren Schlußfolgerungen führen können.
Die Texte auf der Innen-und Außenseite eines Briefes erscheinen zunächst als zwei von
einander getrennte Bestandteile. Doch stehen sie in einer engeren Beziehung zueinander,
als man glaubt, da Elemente der INSCRIPTIO in der Eröffnung des Briefes stets wieder
aufgegriffen, gewissermaßen zitiert werden. Damit wird die Trennung des in der Urkunde
noch zusammenhängenden Formulars in ein Außen und ein Innen überbrückt und ein
inniger Bezug beider Seiten zueinander hergestellt. Wie dieses Prinzip in der jeweils spezi¬
fischen Weise in Erscheinung tritt, soll nun an Hand der Einzelkorrespondenzen erläutert
werden64 65.
1.6.2.1.1 Der Briefwechsel mit Bar-Lothringen
Daß Elisabeths Briefe an René von Anjou und Elisabeth von Bar-Lothringen im ORDO
INFIMUS stehen und deshalb als STILUS der Briefstil verwendet wurde, ist bereits erörtert
worden. Als INSCRIPTIO wird gegenüber Elisabeth von Bar folgende Form verwendet:
Der hochgebornen furstynnen frauiven Elisabeth, hert^ogynne %u Bar vnd %u Lothringen, hert^o-
gynne vnd marggraffynne, marggraffynne, Pontemous vnd grajjynne %u Guise, myner gnedigen He¬
ben frauwen vnd mumenh5.
Der ORDO INFIMUS verbietet eine INTITULATIO vor der Eröffnung des Briefes, die daher
mit der Anrede in folgender Weise beginnt:
Hochgebome furstynne, gnedige Hebe frauwe vnd mumme. Uwem gnaden inbieden ich
myn demudiges gebet vnd waçy ich vermag.
63 Siehe auch Steinhausen, wie Anm. 53, S. 45.
64 Bei den nun folgenden Zitaten wird die Verklammerung von inscriptio und intitulado jeweils durch
Fettdruck verdeutlicht.
65 Nr. 27, 30; dagegen tragen Nr. 7, 16, 34 und 82 nur eine Verweisform bzw. einen Betreff: Mynerfrauwen
von Bar von ¡Varsberges wegen.
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