fen von Armagnac in Sicherheit gebracht. Weniger der Mord am Bruder seines Vaters im
Jahre 1407 als der Schrecken dieser Flucht und die Wut über das dubiose Verhalten seines
Vetters von Burgund im Krieg gegen die Engländer dürften für ihn Anlaß zu dem fatalen
Entschluß gewesen sein, den Mörder von 1407 in eine Falle zu locken und massakrieren
zu lassen80. Richard Vaughan hat die Behauptungen Karls VII. und seiner Anhänger, daß
es sich bei der Tat auf der Seine-Brücke von Montereau am 10. September 1419 um einen
zufälligen, durch eine verdächtige Bewegung des Opfers provozierten Totschlag gehan¬
delt haben könnte, überzeugend als unzutreffend erwiesen: Es war vielmehr ein geplanter,
heimtückischer, mit Axthieben auf den ungeschützten Kopf des sich vom Kniefall vor
dem Dauphin erhebenden Opfers ausgeführter Mord, der sicherlich mit Wissen, wahr¬
scheinlich sogar auf Befehl des Thronfolgers verübt worden ist81.
Zu den Folgen des Verbrechens, das nicht einmal Jeanne d’Arc in Abrede gestellt hat,82
gehörten das Bündnis von Johanns Sohn Philipp des Guten mit Fleinrich V. vom 25. De¬
zember 141983, die Enterbung des Thronfolgers durch den damals noch unter burgundi-
scher Kuratel stehenden Vater am 17. [anuar 142084, und schließlich der Vertrag von
Troyes vom 21. Mai 142085.
Bei diesem Vertrag handelt es sich um ein in Form von zwei Privilegien abgeschlossenes
Abkommen zwischen den Königen Karl VI. von Frankreich und Heinrich V. von Eng¬
land, das Heinrich als Gemahl von Karls Tochter Katharina zum Erben Frankreichs er¬
klärte und in zahlreichen Punkten die Modalitäten festsetzte, nach denen das Königreich
80 Vaughan: John the Fearless (wie Anm. 1), S. 263 ff. Zur Diskussion um die Beteiligung des Dauphin vgl.
bes. S. 274 ff. Zweifel an der Schuld des Dauphin äußert Autrand, F.: Charles 17 (wie Anm. 1), S. 574:
„Un crime prémédité?“
81 Vaughan: John the Fearless, S. 274ff.
82 Jeanne wurde im Prozeß von Rouen danach befragt, ob ihr König gut daran getan habe, den Herzog von
Burgund zu töten. Sie erwiderte: quod hoc fuit magnum damnum pro gern Franck; et quicquid esset inter ipsos duos
principes, Deus misit eam ad succursum regis Franck. Text: Tisset, Pierre u. Lanhers, Yvonne (Hgg,): Procès de
condamnation de Jeanne dArc, Bd. 1, Paris 1960, S. 175.
83 Bonenfant, Paul: Du meurtre de Montereau au traité de Troyes, Brüssel 1958, S. 128 mit Verweis auf die
Quelle: Ordonnances des roys de France de la troisième race, Bd. 12, Paris 1777, S. 273 ff. Die Ordonnanz wurde
erst am 9. Februar in 35 Exemplaren ins burgundische Frankreich expediert und am 13. Februar in Paris
publiziert, vgl. Bonenfant, S. 130.
84 Bonenfant: Du meurtre, S. 98 ff. Der Vertrag mit Burgund wurde von Heinrich V. am 25. Dezember 1419
bestätigt vgl. Bonenfant, S. 111.
85 Ediert u. a. in: Ordonnances (wie Anm. 85), Bd. 11, Paris 1769, S. 86 ff.; Cosneau, E.: Fes grands traités de la
Guerre de Cent Ans, Paris 1889, S. 100-115. Vgl. Richard, Jean: Artikel „Troyes, Vertrag von“, in: FexMA
Bd. 8, 1997, Sp. 1067 f. Gegen die dort genannten Darstellungen deutscher Provenienz bleibt festzuhal¬
ten: Im Vertrag von Troyes ist die Enterbung Karls VII. nicht erwähnt, sondern stillschweigend als be¬
reits vollzogen vorausgesetzt worden. Karls VI. Sohn wird lediglich in § 29 erwähnt: Keiner der beiden
Könige, aber auch nicht der am Vertrag eigentlich gar nicht beteiligte Herzog von Burgund, durfte mit
Karl, der sich Dauphin von Vienne nenne, ohne Zustimmung der anderen verhandeln. Nach Karls VI.
Rückkehr in die Hauptstadt fand dort im Dezember 1420 noch ein feierliches Gerichtsverfahren gegen
den Dauphin statt, ein lit de justice, das die Aberkennung der Erbrechte des Dauphin ebenfalls schon vor¬
aussetzte und bekräfdgte, vgl. Bonenfant: Du meurtre, S. 176 ff
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