Full text: Zwischen Deutschland und Frankreich

So wie er seine sexuelle Vitalität ohne Grenzen auslebt, so auch seine militärische, bis zur 
Lust am Töten steigerungsfähige Natur, deren Exzesse von Elisabeth kurz, kühl und kraß 
geschildert werden: ... huge hub sin schaff ax uff und traffyne oben in das visere so crefftenlich / Das 
eryme das hyme Im heubte gurdeylte / und den schedel von einander erslug / von dem blude wart der 
hertgog so vaste verblyndet... viele er von syme rosse gu der erden nieder. Diese Außerordentlichkeit, 
diese Exzessivität des Vorzeithelden, der in Harmonie von ungehemmter kriegerischer 
Virtus und ungehemmter Sexualität das Recht der Individualität, des autonomen Helden 
gegen die Umwelt zu behaupten scheint, bleibt aber dennoch, und das ist das Besondere 
des Epos, eingebunden in das Recht. Sie ist nur erträglich, weil alle Kämpfe Hugs Kämpfe 
sind gegen Verrat und Hinterlist, Kämpfe „im Dienst der gerechten Sache des legitimen 
Königtums gegen verräterische Verschwörungen des Adels“ (Walter Seitz). Der Metzgers¬ 
sohn im Kriege ist zugleich ein Höfling bei Hofe, der als Aufsteiger die gesetzte Ordnung 
respektiert und so integriert werden kann. Kühnheit und Unerschrockenheit im Kampf 
vereinbart er mit Sanftheit im gesellschaftlichen Gebaren. So vermag seine Umgebung in 
ihm alle Helden der Vorzeit wiederzuentdecken: Hector und Melidus, Roland und Olivier, 
Wilhelm von Orange, Otger von Dannemark, Judas Makkabäus und Alexander, er über¬ 
trifft sie alle. Seine paradoxe Harmonie von autonomer Vitalität und höfischer Gesell¬ 
schaftlichkeit befähigt ihn zum Königtum. Das Faszinosum wird im Epos der Elisabeth 
selbst ausgesprochen: 
Das iest keyn wonder nit: eyn man ist nit dann eyn man. Dannoch ist eyn man gehen ander man wert / 
So nu eyner gut getruwe ist und küne ist / wolgeschicket, von allen gjyddem lieplich wolgetan / und das 
er sich fochten dut / alle die, die nyedderyene strydent odirfechtent / und ouch heldet, was er gelobet ¡So 
sol er des ouch gebessert werden und liep gehabt sin / 
Der Außerordentliche ist gekennzeichnet durch Treue, Gewandtheit, Schönheit und 
Kampfkraft. Das sichert seinen Aufstieg in die friuntschaft und magschaft, d. h. Verwand¬ 
schaft der Könige, wie das der Königin in den Mund gelegte Wort vom liep haben, das 
rechtliche Bedeutung hat, signalisiert. Der Aufstieg des charismatischen Parvenüs, ohne¬ 
hin schon gemildert durch die Verlegung des Geschehens in die graue Vorzeit, wird vol¬ 
lends verständlich durch die darin erkennbare Heils- und Gnadenführung Gottes. Gerade 
die Interpretationslinie, die zum Gottesgnadentum des Herrschers, seiner unmittelbaren 
Legitimation aus Gott führt, hat Elisabeth nachweislich gegenüber ihrer französischen 
Vorlage verstärkt: Die Bedeutung der Gnade aber kann um so deutlicher im Lebensweg 
eines Helden hervortreten, je geringer er seiner Herkunft nach ist. Gott ließ in dieser in 
der Vorzeit spielenden Geschichte erkennen, daß das Königtum dem wirklich tüchtigsten, 
weil tapfersten und stärksten Geschlecht zugefallen ist: den Kapetingern. 
Nach Haubrichs, Wolfgang: „Die Kraft von ,franckrichs wappen‘. Königsgeschichte und genealogische Mo- 
tivik in den Prosahistorien der Elisabeth von Lothringen und Nassau-Saarbrücken“, in: Der Deutschunterricht 
43(1991) H.4, S. 7-11. 
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