Ludwig, wird eine Antwort auf eine weitere reichsgeschichtlich-genealogische Frage gege¬
ben: Wie kam es, daß Karls Geschlecht im Königtum Frankreichs durch ein anderes Ge¬
schlecht abgelöst wurde? Dadurch nämlich, daß der schwache König Ludwig keine Söhne
hat, zum Verderben Frankreichs, wie die Historie Hug Schaplers meldet - so Elisabeth in einer
Vorausdeutung auf ihre letzte Übertragung, die sie am Ende des Epos nochmals verstärkt:
Ludwig ist trotz siegreicher Schlacht auf den Tod verwundet, er stirbt in Metz, wo in der
Tat Ludwig der Fromme, Sohn Karls des Großen, begraben lag. Er, der König, lies^ ein ei-
nich tochter, die hies7K marie, die wart eym gesellen, der hies% huge scheppel, \u elichem wibe und wart eyn
konig Inn franckrich, das erwarte er mit siner kunheit, als man dasg in sime buche eigentlich findet.
Die Geschichte des Stammvaters des neuen Geschlechts der Könige von Frankreich er¬
zählt Elisabeth in sime buche, im,Huge Scheppel', dem eingedeutschten Namen für
Hugues Capet, der in der Tat in der Vorzeit, im zehnten Jahrhundert, ein neues französi¬
sches Königshaus, die Dynastie der Kapetinger, begründete. Es ist der unaufhaltsame,
von Gott begünstigte Aufstieg eines archaischen, von feudaler Vitalität erfüllten Krafthel¬
den bis zur höchsten Würde Frankreichs. Huge Scheppel wird als Sohn eines Ritters und
einer Metzgerstochter geboren, er ist also einer der ständisch gebrochenen Helden, wie
wir sie schon in den vorhergehenden Arbeiten Elisabeths kennengelernt haben. Nach
dem Tode des Vaters pflegt Hug einen aufwendigen adligen Lebensstil, bringt jedoch als¬
bald sein Hab und Gut durch, kommt damit - wie die Übersetzerin sagt - aus der art des
Adels. Erst sein reicher Pariser Metzgersonkel gibt ihm neue Ausrüstung und neues Start¬
kapital und damit auch eine neue Chance. Er geht zunächst auf Abenteuerfahrt, im Hen¬
negau und in Brabant verführt er in kürzester Zeit die schönsten Töchter des ansässigen
Adels und zeugt zehn Söhne. Nach Paris zurückgekehrt, greift er in den ausgebrochenen
Konflikt zwischen einem aufständischen Kronvasallen, der die Erbtochter des König¬
reichs zur Heirat zwingen will, und der verwitweten Königin ein. Er tötet den Rebellen;
im Kampf gegen seine Anhänger, die Paris belagern, zeichnet sich der kone wolgestalte man
so aus, daß man ihn zum Herzog von Orléans beruft, ihn mit einem königlichen Pfauen¬
mahl ehrt, ihm das königliche Lilienwappen und die königliche Rüstung überträgt. Seine
zehn Söhne, von seinem Ruhm angelockt, stoßen zu ihm, zeichnen sich ebenfalls durch —
ererbte —Tapferkeit aus und helfen ihm gegen die Feinde. Der Vorkämpfer Frankreichs
erhält schließlich die Tochter des Königs Ludwig zur Frau und wird neuer König, zeugt
wiederum vil sun und damit eine neue Dynastie. Auch einen gefährlichen Aufstand seiner
Gegner kann er niederschlagen. Die Verräter werden hingerichtet.
In ,Hug Scheppel4 wird ein feudales Wunschbild der herrlichkeit, ein adliges Herrenideal,
das sicherlich für die Zeit schon nahezu unerfüllbar geworden war, nach Art und Weise
der chanson de geste in die Vorzeit projiziert. Der charismatische Held ist geprägt durch sei¬
ne art, seine Natur, die ihm Stärke, Kühnheit, Ausdauer, Geschicklichkeit, Gewaltlust,
Schönheit, erotische Attraktivität und als Zeichen seines Heils - anders als etwa dem heil¬
losen König Ludwig beschieden war — eine unbändige Zeugungskraft mitgibt. Seine Kör¬
perkraft und Kühnheit schenkt ihm stets den Sieg über seine Feinde, seine militante Vita¬
lität wird — hier wirkt das Erbteil der Metzgerstochter mit — bis zur Brutalität gesteigert,
wenn man von ihm sagt, daß er das Fleisch seiner Feinde schrote wie auf einer Metzelbank.
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