Bedeutung bei, weil die Entstehung der Handschrift, die mit diesem Kolophon endet, von
mir anhand heraldischer Kriterien auf 1455/56 datiert werden konnte395, also in die letzten
Lebensmonate Elisabeths oder kurz danach.
Über Kontakte und Verbindungen Elisabeths zu literarisch produktiv oder rezeptiv täti¬
gen Frauen und Männern ihrer Zeit sind seit Liepe immer wieder Vermutungen geäußert
worden. In ihrer Korrespondenz396 fand sich kein Hinweis auf ihre literarischen Interessen
oder ihre Übersetzungstätigkeit. Dies erklärt sich meiner Ansicht am ehesten damit, daß
solche Schreiben von den nassau-saarbrückischen Archivaren als nicht aufhebenswert,
weil ohne Belang für die Wahrung landesherrlicher Rechte, erachtet wurden. Es wurde
bisher auch kein Brief bekannt an literaturfördernde Höfe, die mitunter in Verbindung
mit Elisabeth gebracht werden, wie der Kurpfälzer Hof in Heidelberg, dem der Mechthild
von der Pfalz in Rottenburg am Neckar und des Charles d‘Orléans in Blois. 397 Zu wenig
wurden bisher die Lebensläufe sorgfältig zueinander in Beziehung gesetzt. So wurde mei¬
ner Ansicht nach kaum bedacht, daß Charles d‘Orléans von 1415 bis 1440 von den Eng¬
ländern gefangen gehalten wurde. Verbindungen Elisabeths zu ihm wurden deshalb für
möglich gehalten, weil im Zusammenhang mit seinen Werken drei Rondeaux von Elisa¬
beths Bruder Anton „im pretiös allegorischen Stil der Zeit ohne sonderliche Qualität“ ü-
berliefert sind398. Ihre Entstehungszeit, von Raynaud noch vor 1415 datiert,399 hat schon
Liepe infrage gestellt und eher eine Verbindung Antons von Vaudémont zu Charles von
Orléans nach 1440 angenommen. Ihm ist beizupflichten, denn „vor 1415“ war Anton
kaum dem Kindesalter entwachsen400.
Im Briefwechsel Elisabeths mit Anton klingen ebensowenig gemeinsame literarische Inte¬
ressen an wie in ihrer Korrespondenz mit René von Anjou. Die Phase von Renés eigenem
belletristischen Schaffen liegt erst in seiner 1454 geschlossenen Zweitehe mit Jeanne La-
valle401. Vorher war er stärker mit der Verfechtung seiner Erbansprüche befaßt. In den
395 Vgl. S. 120f.
396 Vgl. die Auflistung der Briefe Elisabeths in Anhang.
397 Vitale-Brovarone, Alessandro: Artikel „Charles d’Orléans“, in: LexMA Bd. 2, Sp. 1728-1730.
398 Liepe (wie Anm. 16) S. 18.
399 Raynaud: Rondeaux et autres poésies du Xve siècle, Paris 1899, S. XVIII.
400 Anton stand bis zum Tode seiner Mutter (1417) unter deren Vormundschaft (vgl. S. 43), müßte also je
nach Ansatz der Volljährigkeit bei Erreichen des 15. oder 18. Lebensjahres zwischen 1399 und 1402 ge¬
boren sein und wäre dann vor der Gefangennahme Charles d‘ Orléans höchstens 13 oder 16 Jahre alt
gewesen.
401 Zu René vgl. Coulet, N.: Le roi René - le prince, le mécène, l’écrivain, le mythe, Aix-en-Provence 1982; Robin,
Françoise: La cour dAnjou-Provence. La vie artistique sous le règne de René, Paris 1985 mit umfangreicher Bi¬
bliographie. Wegen ihres Materialreichtums ist die alte zweibändige Arbeit von A. Lecoy de la Marche:
Le roi René, sa vie, son administration, ses travaux artistiques et littéraires d’après les documents inédits des archives de
France et d'Italie, Paris 1875, immer noch heranzuziehen. René beschäftigte sich zunächst mit der Tur¬
nierkunst, Hauptwerk ist der in den späten 1440er Jahren entstandene Manuel du parfait organisateur de tour¬
nois. Am Anfang seiner Dichtkunst stehen das bukolische Liebesgedicht Régnault et Jeanneton 1454/55 und
das wenig jüngere Mortifiement de vaine Plaisance, ein Dialog zwischen allegorischen Figuren. Schon 1457
folgte sein Hauptwerk Le Livre du Cuer dAmours espris, in Prosa, mit eingeschobenen längeren Verspar-
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