Full text: "Grenzgänger" (33)

deutsch-französisch-skandinavische Freundeskreis führten dazu, daß Langen, der 
fundierte Kenntnisse der französischen und norwegischen Sprache besaß, wie wohl 
kein anderer deutscher Verleger seiner Zeit in drei Kulturkreisen zu Hause war. 
Durch seine Auslandsaufenthalte verfugte er über ein Verbindungsnetz, das einen 
Teil Europas bedeckte und das er bei seiner verlegerischen Tätigkeit zu nutzen ver¬ 
stand. Darüber hinaus regte er immer wieder auf privater Ebene kulturelle Begegnun¬ 
gen an, aus denen nicht selten grenzüberschreitende Freundschaften wurden. 
Langen war von enthusiastischem, kommunikativem Temperament und von konzili¬ 
anter Natur. Seine Spontaneität und Begeisterungsfähigkeit, die zur Verlagsgrün¬ 
dung geführt hatten, bewahrte er sich zeitlebens, wobei die Objekte seiner Begeiste¬ 
rung nicht unbedingt Bücher oder Kunstwerke zu sein brauchten.7 Herkunft, Tempe¬ 
rament und Lebensweg prädestinierten Langen zum Grenzgänger und Vermittler, 
und so erwies sich der Beruf des Verlegers, der ja par excellence ein vermittelnder 
Beruf ist, in seinem Fall wirklich als Berufung. 
Langens Rolle im französisch-deutschen Literaturtransfer 
Als Langen 1890 nach Paris kam, war die Hochblüte des französischen Naturalismus 
bereits vorbei. Das bestätigt eine Umfrage, die der Journalist Jules Huret 1891 bei 64 
renommierten Schriftstellern veranstaltet hatte.8 Zwar ging es in dieser Umfrage in 
erster Linie um die Gruppenzugehörigkeit der Schriftsteller, doch stellte Huret stets 
auch die Frage nach der gegenwärtigen Situation des Naturalismus und nach seiner 
Zukunft. Wenn die Hypothesen, die Zukunft dieser Strömung betreffend, auseinan¬ 
dergingen, waren sich fast alle Schriftsteller darin einig, daß der Höhepunkt des Na¬ 
turalismus überschritten war, auch wenn fast niemand dessen Verdienste für die mo¬ 
derne Literatur leugnete (Einführung neuer sprachlicher Mittel, Präzision der Beob¬ 
achtung, Interesse für soziale Probleme und Konflikte). Die sich an diese Umfrage 
anschließende Diskussion war an Langen und anderen dazumal in Paris lebenden 
Schriftstellern und Kritikern, erinnert sei an Hermann Bahr, nicht spurlos vorüberge¬ 
gangen. Da die Literatur in Frankreich die Wendung zum Psychologischen bereits 
vollzogen hatte, war abzusehen, daß in Kürze im deutschen Sprachraum ebenfalls 
eine Rehabilitierung des Seelischen gegenüber dem “Sachlichen” und Sozialkriti¬ 
schen erfolgen werde. Außerdem war aus der französischen Debatte hervorgegan¬ 
gen, daß sich nach dem “Tod des Naturalismus” bzw. nach dessen “Überwindung” 
(H. Bahr), die moderne Literatur durch ein Nebeneinander verschiedenster Strömun¬ 
gen auszeichnen werde. Denn die befragten Schriftsteller hatten ohne Komplexe zu¬ 
gegeben, daß ihnen wettbewerbliches Denken nicht mehr fremd war und daß sie Um¬ 
stellungsstrategien nicht scheuten, wenn sich ihre Erfolgsaussichten innerhalb einer 
bestimmten Strömung verringerten. Da eine Aufsplitterung der modernen Literatur 
vorauszusehen war, verzichtete Langen von vornherein auf den Ehrgeiz, Verleger ei¬ 
7 So übernahm Langen, selbst ein begeisterter Autofahrer, 1908 die Generalvertretung der 
Automobilfirma Züst und gründete im selben Jahr in München die erste “Bayerische 
Chauffeurschule”. 
8 Sie erschien zwischen dem 3. März und dem 5. Juli 1891 zunächst im Echo de Paris und ei¬ 
nige Monate später als Buchausgabe unter dem Titel Enquête sur l’évolution littéraire. 
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