setzen, gelohnt zu haben. Letztlich bietet sich ein bunter Strauß von Ergebnissen, die
künftig zu erweitern, mitunter auch zu überprüfen sein werden. Kritisch wird vor al¬
lem anzumerken sein, daß wirtschaftliche Fragestellungen zwar nicht fehlten, jedoch
mindestens in größeren Zusammenhängen intensiver untersucht werden müßten.
Damit ist aber nur ein Desiderat angesprochen, ein weiteres wäre die gezielte Frage
nach kulturellen Auswirkungen. Im Felde literarisch-geistiger Transfers sind sie zu
greifen, doch ist man an solche eher gewöhnt. Sonst bleiben in der Grenzgängerthe¬
matik entsprechende Einflüsse kaum spürbar, künftige Spezialuntersuchungen könn¬
ten aber zu deutlicheren Erkenntnissen führen.
So sind vorerst nur wenige Eindrücke in Erinnerung zu rufen, vor allem der zwischen
1965 und 1996 mehr als verzehnfachte Pendlerzustrom nach Luxemburg. Über
200.000 Personen passieren täglich die Grenzen, sie kommen aus Deutschland, Bel¬
gien und Frankreich, zwei Drittel von ihnen aus einer Entfernung von höchstens 20
km bis zu Luxemburgs Grenzen. Ohne sie wären Luxemburgs Wirtschaftsleben und
fast alle Dienstleistungsbereiche kaum funktionsfähig. Aber ist Luxemburg deshalb
schon “zu einer Art Testplattform des Europas der Bürger" geworden (Carole
Schmit)? Testen diese Grenzgänger “täglich die Ideale eines vereinten Europas”?
Die Antwort fällt zur Zeit positiv aus, obwohl vorerst nur ökonomische und soziale
Auswirkungen erkennbar sind. Was aber geschieht, wenn diese Grenzpendlerströme
konjunkturell bedingt ausbleiben?
Die Frage nach kulturellen Auswirkungen müßte eine solche nach ethnischen oder
nationalen einbeziehen. Hier ist vieles offen, manchmal wohl auch mit Verschärfung
statt Überbrückung von Fremdem und Gegensätzlichem zu rechnen. Für einen ent¬
sprechenden Aspekt steht (noch immer) die Klage eines Giraldus Cambrensis, der zu
sehr Waliser für die Engländer und zu sehr Engländer für die Waliser war: “both peo-
ples regard me as a stranger and one not for their own ... one nation suspects me, the
other hates me” (vgl. den Beitrag von Huw Pryce). Die Haltung der Sorben, die ihre
ethnische Identität über tausend Jahre im fränkischen und dann deutschen Staatsver¬
band zu wahren wußten, die auch auf ihre kulturelle Eigenart nachdrücklich achten,
mag in gewisser Weise als Gegenbeispiel zu verstehen sein. Wenn sie ihr stetes
Wechseln zwischen der “sorbischen Innen- und deutschen Außenwelt” auch unter
den Bedingungen der modernen Industriegesellschaft ungefährdet durchhalten,
könnte sich hier ein Modell greifen lassen, eine “Testplattform” allemal.
Mit dieser Vermutung mag der Ausblick enden. Denn daß man leichter von
“Multikulturalität” reden kann und daß eine solche zu propagieren auf weniger
Hemmnisse stößt als die vielfältige Realität, ist ohnehin offenkundig.
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