Andreas Schorr
Grenzgänger zwischen den Sprachen.
Eine Umfrage zur Sprachenwahl und zu
Spracheinstellungen in der Saar-Lor-Lux-Region.
Grenzgänger leben zwischen den Sprachen. Wenn sie zwischen Wohnort und Ar¬
beitsplatz die Staatsgrenze überschreiten, betreten sie nicht nur ein Territorium mit
einem anderen Rechtssystem, mit anderen Sitten und Gebräuchen in der Familie und
im öffentlichen Leben, sondern sie treten auch ein in eine Gesellschaft mit einem an¬
deren Sprach enge füge. Selbst wenn die Sprachgrenzen wie in der Saar-Lor-Lux-Re¬
gion nicht mit den Staatsgrenzen übereinstimmen, so besitzen diese Sprachen doch in
jedem Territorium einen anderen Stellenwert.
Eine Annäherung an diesen bislang wenig beachteten Komplex wurde mit Hilfe einer
brieflichen Umfrage unternommen. Doch bevor die Ergebnisse der Fragebogenakti¬
on zur Sprachenwahl und zu Spracheinstellungen vorgestellt werden, will ich den
Untersuchungsraum in sprachlicher Hinsicht skizzieren. Als Saar-Lor-Lux-Region
werden hier folgende Teilregionen verstanden: das Saarland, das lothringische Mo¬
seldepartement, die belgische Provinz Luxemburg, das Großherzogtum Luxemburg
sowie der Regierungsbezirk Trier und die Westpfalz als Teile von Rheinland-Pfalz.
Die EU-Staaten Belgien, Deutschland, Frankreich und Luxemburg haben Anteil an
dieser Region.1 Zehntausende von Menschen überschreiten hier täglich die Grenzen
auf dem Weg vom Wohnort zum Arbeitsplatz.
Der unterschiedliche Stellenwert von Sprachen und Dialekten in der Region läßt sich
nach der Untersuchung von Jean-Paul Hofffnann an den nah verwandten moselfrän¬
kischen Dialekten dreier Nachbarorte im deutsch-französisch-luxemburgischen
Dreiländereck zeigen.1 2 Im luxemburgischen Schengen ist das örtliche Moselfrän¬
kisch die mit Stolz gesprochene Nationalsprache Letzebuergesch oder Luxembur¬
gisch, im deutschen Perl ist es ein von den Sprechern geschätzter, aber zuweilen auch
als hinderlich empfundener Dialekt des Deutschen und im französischen Apach ein
früher gering geschätztes Patois, heute die immer mehr akzeptierte Regionalsprache
Francique oder Fränkisch. Ein ortsunkundiger Zuhörer kann die drei Varianten des
Moselfränkischen nicht unterscheiden. Nicht nur verschiedene Dialektvarianten
1 Zu den unterschiedlichen Abgrenzungen des Saar-Lor-Lux-Raumes vgl. Christian Schulz /
Wolfgang Brücher, Saar-Lor-Lux. Die Bedeutung der lokalen grenzüberschreitenden Ko¬
operation für den europäischen Integrationsprozeß, in: magazin forschung Universität des
Saarlandes (1/1997), S. 46-53. Christian Schulz danke ichherzlich für die freundliche Un¬
terstützung bei der Anfertigung der Karte.
2 Jean-Paul Hoffmann, Standardsprache und Dialekt in der saarländisch-lothringisch-luxem¬
burgischen Dreiländerecke (Beiträge/Abteilung für Sprachwissenschaft, Ethnologie und
Toponymie des Großherzoglichen Institutes von Luxemburg; 17/25) (Publications mosel-
lanes), Luxemburg 1985, zugleich Bonn, Universität, Dissertation, 1984.
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