Full text: "Grenzgänger"

durchweg bar, und nicht mit Naturallöhnen bezahlt. Als positive Auswirkungen der 
Sachsengängerei sah der zeitgenössische deutsche Beobachter die Gewöhnung an 
eine arbeitsreichere, diszipliniertere Lebensführung, saubere Kleidung und bessere 
Ernährung an. Auch meinte er, der Umgang mit der deutschen Sprache und Kultur sei 
für die polnischen Wanderarbeiter nutzbringend.20 
Gegen Ende des 19. Jh. gibt es in der Zentral- und Nordschweiz einen großen Anteil 
an italienischen Arbeitskräften,21 Sie wurden vor allem im Eisenbahnbau, insbeson¬ 
dere bei den Tunnelbauten, im Baugewerbe, in Steinbrüchen und bei sonstigen Erd- 
arbeiten benötigt, da sie billige Arbeitskräfte waren. Man kann diese italienischen 
Wanderarbeiter auch als saisonale Arbeitskräfte ansprechen, weil die von ihnen ge¬ 
forderten Arbeiten fast ausschließlich im Sommer zu verrichten sind. Seit es Eisen¬ 
bahnen gab, kamen sie oft in Sonderzügen aus Norditalien und haben zu Beginn des 
20. Jh. oft die Elunderttausendergrenze überschritten. So gab es Branchen, die zeit¬ 
weilig 90 Prozent ihrer Arbeitsplätze mit italienischen Wanderarbeitern besetzten. 
Schweiz und Italien profitierten beide: Aufwendige Großprojekte in der Schweiz 
konnten kostengünstig realisiert werden, während in Italien die Arbeitslosigkeit ent¬ 
schärft werden konnte, die wegen gewisser Rückständigkeiten bei der Industrialisie¬ 
rung des Landes sehr gravierend war. Insofern haben auch beide staatlichen Seiten in 
der Organisation der Arbeitskräfte, bei Unterbringung und anderem zusammengear¬ 
beitet. Gleichwohl ist aus der Perspektive des beginnenden 20, Jh. geurteilt worden, 
daß die Einheimischen die Italiener mit großem Mißtrauen betrachtet hätten. Klagen 
über verwahrloste Zustände und mangelnde Hygiene wechselten mit Achtung vor 
dem hohen Arbeitspensum und der strengen Arbeitsmoral. Private Kontakte zwi¬ 
schen den Angehörigen beider Volksgruppen scheinen nicht entstanden zu sein, wie¬ 
derum vor allem, weil die Italiener in eigenen, zum Teil mobilen Siedlungen unterge¬ 
bracht waren. Insofern entfällt auch die Frage nach kulturellen Impulsen, die beider¬ 
seitig hätten eventuell registriert werden können. Nur im italienischsprachigen Tes¬ 
sin waren die Verhältnisse günstiger, hier war sogar der Anteil der Italiener in akade¬ 
mischen Berufen relativ hoch. In dieser Berufsschicht lassen sich dann auch recht 
häufig Italiener ermitteln, die für längere Zeit blieben oder mit der einheimischen Be¬ 
völkerung verschmolzen. 
Als vierte Gruppe soll die der Wanderarbeiter im saarländisch-lothringischen Raum 
angesprochen werden. Da es sich hier um Tätigkeiten in den großen Industriezentren 
handelte, spielte sich der Wanderungsrhythmus jahreszeitlich anders ab. In diesen 
Raum kamen die meist ländlichen Arbeiter aus der Umgebung vorzugsweise im 
Herbst und Winter, wenn sie in der heimischen Landwirtschaft ihre eigenen Arbeiten 
erledigt hatten. Man spricht daher von einem “saisonalen Mobilitätsmuster”, das 
auch für das Saarland gilt, wie beispielsweise Stefan Leiner unlängst hier in 
Saarbrücken herausarbeiten konnte.22 Mit dem Aufkommen eines forcierten Eisen¬ 
20 Ebd. S.474. 
21 Hektor Ammann, Die Italiener in der Schweiz, Ein Beitrag zur Fremdenfrage (Basel 1917). 
22 Stefan Leiner, Migration und Urbanisierung. Binnenwanderungsbewegungen, räumlicher 
und sozialer Wandel in den Industriestädten des Saar-Lor-Lux-Raumes 1856-1910 (Veröf¬ 
fentlichungen der Kommission für saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 
29) Saarbrücken 1994, hier S.73ff. 
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