Zwar sollte frau in der Lage sein, sich deutsch zu kleiden, aber sie sollte es nicht tun,
lautet zunächst die ambivalente Lektion dieser Geschichte.
Eindeutig ist demgegenüber die Hutlektion, die Strittmatter in seinem Roman die
sorbische Großmutter erteilen läßt: Sie müßte vor sich selbst ausspucken, würde sie
ihren sorbischen Rock in die Lumpen schmeißen und einen (deutschen) Hut mit Blu¬
men aufsetzen20. Hier ist bezeichnenderweise nicht die Rede von zwei Hüten und ei¬
ner damit ins Spiel gebrachten Frage nach kultureller Inkompetenz: Natürlich weiß
die Großmutter im halbsorbischen Bossdom, wie man mit einem deutschen Hut um¬
zugehen hat, und sie weiß auch, was man von ihm zu halten hat. Die Problematisie-
rung des Nicht-Wissens in der Zwei-Hüte-Geschichte ist in diesem Kontrast an das
klar getrennt konzipierte Nebeneinander einer sorbischen und deutschen Welt ge¬
bunden, in der die Sorbin die Regeln der deutschen Kleidung nicht kennt. Zu vermu¬
ten wäre, daß sie sorbische Regeln angewandt hat. Für den Sprachwechsel ließen sich
viele Beispiele anfiihren, bei dem der Übergang in die andere Sprache gekenzeichnet
ist durch die Anwendung der eigenen Grammatik: Auch wenn das Material übernom¬
men wird, kann der Modus der Verwendung, das Tun geprägt sein von den zugrunde¬
liegenden eigenen Regeln.
Die Fragwürdigkeit eines solchen geschlossenen und ausschließenden Zwei-Kultu-
ren-Konzepts und der damit notwendigen Grenzüberschreitungen scheint sich so in
der Verwendung der Metapher der zwei Hüte wiederzufinden: Das Tragen von zwei
Hüten als Absurdität im Bild läßt sich befragen auf eine hier thematisierte und zur
Disposition stehende Absurdität des Modells zweier getrennter Kulturen und der da¬
mit implizierten Entweder-Oder-Entscheidung21 in einer spezifischen lebensweltli¬
chen Krisensituation, in der die bisherige Konzeption nicht mehr trägt. Wird nicht auf
einer Meta-Ebene dieses im Narrativ symbolisch vollzogenen Diskurses das Zwei-
Kulturen-Muster selbst in Frage gestellt? Ist die Frage, welchen Hut man aufsetzt, so
kann man weiter fragen, die entscheidende Frage einer ethnischen Identität, und stellt
der Hut oder irgendein anderes Attribut den entscheidenden Ort dar, in dem Diffe¬
renz sich artikulieren muß?
In einem der heutigen Konstruktivismus-Diskussion der verschiedenen kulturwis¬
senschaftlichen Disziplinen vorgängigen Ethnizitätsverständnis kommt der Schritt
des Ablegens bestimmter kultureller Attribute einer Assimilation gleich, das heißt,
mit der Angleichung des kulturellen Stoffes ist auch das Verschwinden der spezifi¬
schen Differenz, in diesem Fall des Sorbischen, zu erwarten. Dieser herkömmliche
Ethnizitätsbegriff postuliert das „Zur-Deckung-Kommen von sozialer Gruppe, Kul¬
tur und Identität“, wie die Kulturanthropologin Gisela Welz ihre Nachzeichnung der
Kritikentwicklung des Ethnosbegriffes emleitet22. Das Recht, die eigene Alterität den
jeweiligen Lebensumständen entsprechend neu zu verorten, widerspricht einer ge¬
20 Erwin Strittmatter (wie Anm. 2) S. 87.
21 Vgl. Elka Tschemokoshewa, Das Reine und das Gemischte. Anstöße für ein diskursives
Kulturverständnis, in: Kulturfoschung 12, September 1996, S. 7-8.
22 Gisela Welz, Die soziale Organisation kultureller Differenz. Zur Kritik des Ethnosbegriffes
in der anglo-amerikanischen Kulturanthropologie, in: Nationales Bewußtsein und kollekti¬
ve Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit, hrsg. von
Helmut Berding, Frankfurt am Main 1994, S. 66.
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