wechseln also zwischen zwei als nicht gleichwertig und konkurrenzfähig empfunde¬
nen Welten, identifizieren sich mit der Wertung der deutschen Außenwelt und tragen
diese mit in die Innenwelt des Dorfes. Die Frauen hingegen bestehen auf dem Recht
ihrer Lebenswirklichkeit: Für sie ist die „Eigengruppe Minderheit“ weiterhin positi¬
ve Bezugsgruppe, um es in der Logik der Bezugsgruppentheorie des Soziologen
Manfred Markefka auszudrücken. Das Gutheißen der Moderne geht einher mit der
ökonomischen Abhängigkeit von ihr und verlangt in dieser sich aus schließ enden Lo¬
gik das Verleugnen des Traditionellen und damit das Abschaffen seiner Attribute16:
Die Männer drängen die Frauen zum Ablegen der Tracht und zum Sprachwechsel
vorrangig gegenüber den Kindern17.
3. Vom Tragen und Nicht-Tragen deutscher Hüte
Ich möchte nun zu einer im Schleifer Kirchspiel kursierenden Geschichte einer mi߬
lungenen Grenzüberschreitung kommen, in der sich die zwischengeschlechtlichen
Auseinandersetzungen um das Ablegen der Tracht verdichtet haben. In dieser Ge¬
schichte wird allerdings nicht nur das Verhältnis zu Tradition und Moderne themati¬
siert (wie es für eine Geschichte des Trachtenablegens in Deutschland um die Zeit
des 2. Weltkriegs üblich wäre), es wird auch nach dem Modus eines angemessenen
Umgangs mit und Wandern zwischen zwei ethnisch differenten Kulturen zur Spra¬
che gebracht. Sinngemäß erzählt die Geschichte folgendes:
Eine Trachtträgerin der traditionellen Generation bekommt als junge Frau von ihrem
Mann oder Bruder, der durch Partizipation an einer deutschen Lebenswelt, sei es die
Arbeitswelt Weißwasser, sei es die Lebenswelt Westdeutschland, gekennzeichnet
ist, einen Satz deutscher Kleidung, den sie statt der sorbischen Tracht tragen soll. Sie
kleidet sich alleine an und begeht dabei einen folgenschweren Fehler: Sie setzt zwei
Hüte übereinander auf, weil sie denkt, das müsse so sein. Sie bemerkt ihren Fehler
nicht und begibt sich in die deutsche Außenwelt oder auch in die sorbische Innen¬
welt, die das Fehlverhalten registriert und blamiert so sich und den Mann, der das An¬
ziehen der deutschen Kleidung von ihr verlangt hat. Die Blamage wird zum Gegen¬
stand allgemeiner Belustigung im Dorf, die bis heute nicht ganz verschwunden ist:
„Da lachen noch die Leute drüber“, beendete meine Gesprächspartnerin ihre Erzäh¬
lung.
16 Vgl. Peter H. Neide (wie Anm. 15).
17 Die hier vorgestellte geschlechtliche Rollenverteilung in Form von die eigene Minderhei¬
tensprache negierenden Männern gegenüber positiv bis neutral eingestellten Frauen ergibt
sich meiner Meinung nach strukturell aus den Wertverhältnissen der jeweiligen Arbeits¬
welt. In soziolinguistischen Studien ist demgegenüber daraufhingewiesen worden, daß ge¬
rade die Frauen im Hinblick auf die Zukunftschancen ihrer Kinder dazu tendieren, diesen
die mit Modernität und Aufstieg assoziierte Mehrheitssprache zu vermitteln, vgl. Lenora A.
Timm, Bilingualism. Diglossia and Language Shift in Brittany, in: International Journal of
the Sociology of Language 25 (1980) S. 36; Rosita Rindler-Schjerve, Zur Konfliktsituation
des Sprachenwechsels in der Minderheitenfamilie, in: Peter H. Neide (Hg.), Language
Conflict and Minorities (Plurilingua X), Bonn 1990, S. 225f.
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