In die politischen Meinungsverschiedenheiten, die zwischen der Domowina in Baut¬
zen und dem Nationalrat in Prag seit 1946 auftraten und sich in den folgenden Jahren
zuspitzten, wurden auch die Sorben in der Tschechoslowakei von beiden Seiten hin¬
eingezogen. In diesem Zusammenhang kam es zu Enthebungen aus Funktionen und
Rückversetzungen in die Lausitz.
Neben der Regelung der Angelegenheiten der sorbischen Arbeiter und Studierenden
in der Tschechoslowakei entwickelten sich zwischen 1945 und 1949 über die Domo¬
wina weitere grenzüberschreitende Aktivitäten. Sie können hier nur genannt werden,
ein Kommentar ist an dieser Stelle nicht möglich, auch weil hierzu ebenfalls noch zu¬
wenig geforscht wurde. An die Domowina wandten sich sowohl einzelne Personen
als auch deutsche Stellen mit Bitten um Hilfen in verschiedensten Fragen. So sah sich
die Organisation beispielsweise wiederholt mit Rückkehr- und Eigentumsproblemen
ausgesiedelter Sudetendeutscher konfrontiert. Helfen konnte sie allerdings kaum.
Seitens einzelner Sudetendeutscher wurden Gesuche um „Zuerkennung“ des Wen-
dentums und damit um Ausstellung eines Mitgliedsausweises der Domowina, der die
Rückkehr in die alte Heimat ermöglichen sollte, gestellt.
Die Stadt Löbau wiederum stellte mit Hilfe der Domowina Nachforschungen über
den Verbleib des von den Nationalsozialisten nach Böhmen verbrachten Stadtarchivs
an, und auch bei der Suche von Vermißten wurde die Domowina um Hilfe gebeten.
Konfrontiert wurde die sorbische Organisation wiederholt mit Problemen illegaler
Grenzgänger, teils unter Mißbrauch ihres Mitgliedsausweises, In einer Stellungnah¬
me zur Festnahme eines davon betroffenen Sorben aus der Gegend um Schleife an
die Grenzbehörden verwies die Domowina-Führung darauf, daß sie alles mögliche
tue, um „schwarzes“ Überschreiten der Grenze zu verhindern. „Aber wir sind macht¬
los, weil Agenten tschechischer Firmen und Staatsbetriebe durch die Lausitz reisen
und Leute werben, in die Tschechoslowakei zur Arbeit zu gehen. So geschah es auch
in Schleife. Herr S. ist einfacher Landwirt aus einem Dorf unweit von Muskau an der
polnischen Grenze und ein guter Sorbe. Deshalb bitten wir Sie, S. freizulassen, damit
er in die Lausitz zurückkehren kann. Es ist sehr wichtig im Kampf um die Erhaltung
des Sorbentums in der Gegend von Muskau, daß S. zurückkehrt.“12
Ein weiterer Bestandteil des sorbisch-tschechischen Grenzgängertums war die mate¬
rielle Sicherung sorbischer Aktivitäten in der Lausitz durch grenzüberschreitende
Verbindungen. So nutzten die Sorben eine Druckerei in Rumburk für ihre Zwecke
und verhandelten mit der tschechischen Seite über eine mögliche Auslagerung nach
Bautzen. Grenzgänger mit Domowina-Papieren brachten Lebensmittel, Drucker¬
zeugnisse und weitere Güter in die Lausitz. Hierzu wurden Kuriersysteme und De¬
pots angelegt. Für die Ausstattung des Sorbischen Lehrerbildungsinstituts wurden
Bücher aus konfiszierten ehemals deutschen Beständen organisiert. Treibstoffe und
Ersatzteile für die Fahrzeuge der Domowina wurden gleichfalls, nicht immer legal,
herangeschafft. Für den Neubau des kriegszerstörten Hauses der Sorben in Bautzen
wurde Baumaterial beschafft.
Seitens der deutschen Polizeibehörden wurden die sorbischen Grenzaktivitäten - ob
legal oder illegal - mit Mißtrauen betrachtet und teils behindert. Protokolliert ist bei¬
spielsweise, daß von deutschen Polizeiangestellten sorbischen Arbeitern, die ihre
SKA, Akte D II 4.5. C, Bl. 163.
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