nisses zum Nachbarland eine brückenschlagende Funktion zukommen sollte. Die el¬
saß-lothringische Frage, die immer noch trennend zwischen Deutschland und Frank¬
reich stand, war für die Mitarbeiter der Zeitschrift nicht tabu. Man behandelte sie zum
einen als Kulturfrage und setzte sich dafür ein, den Elsässern ihre kulturelle Eigen¬
ständigkeit zu lassen, wie man sie den benachbarten Badenern und Württembergem
und allen anderen deutschen Bundesländern ließ. Im politischen Bereich plädierte
man für eine völlige Autonomie Elsaß-Lothringens mit allen Rechten eines Bundes¬
landes. Sowohl die französischen als auch die deutschen März-Mitarbeiter sahen dar¬
in die einzige Möglichkeit, den Verlust der annektierten Provinzen für Frankreich ak¬
zeptabel zu machen.
Im Zusammenhang mit der Idee von der notwendigen Bildung eines linken Blocks,
die die Zeitschrift vertrat, stand diejenige von der notwendigen Trennung von Staat
und Kirche. Langen hatte in Frankreich den Kampf der Demokraten gegen die Kleri¬
kalen miterlebt, der 1905 zu dieser Trennung geführt hatte. Der Kampf gegen das
bayrische Zentrum, den er direkt nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Simpli¬
cissimus begann und der semen Höhepunkt mit der “Simplicissimusdebatte” im bay¬
rischen Landtag (Dezember 1903/Januar 1904) und der am 5. Januar 1904 konfiszier¬
ten sehr scharfen “Zentrumsnummer” des Simplicissimus (no. 42) erreichte, sind er¬
ste Versuche, diesen in Frankreich erfolgreich beendeten Kampf auf Deutschland zu
übertragen. Dabei leisteten ihm die französischen Mitarbeiter des März an der Spitze
Jean Jaurès und Anatole France, Schützenhilfe. Greifbare Erfolge bei seinem Einsatz
für die Trennung von Staat und Kirche und die Bildung eines linken Blocks konnte
Langen zu Lebzeiten nicht verbuchen. Ein bescheidener Teilerfolg war die 1910 nach
seinem Tod erfolgte Gründung der “Fortschrittlichen Volkspartei”, die aus dem Zu¬
sammenschluß dreier linksliberaler Parteien hervorgmg und der mehrere Mitarbeiter
des März angehörten.
Grenzgänger, die Ideen vehikulieren, gelten oft als verdächtig, wenn nicht gar ge¬
fährlich. So wurde auch Langens Tdeeneinfuhr’ von der nationalistischen deutschen
Presse mit wachsendem Mißtrauen, ja mit Haß vermerkt und als internationaler Libe¬
ralismus in Verruf gebracht, davon zeugt die bereits erwähnte Diffamationskampa¬
gne gegen ihn, seinen Verlag und seine beiden Zeitschriften, Im Jahr 1908, auf dem
Höhepunkt dieser Kampagne, wies Ludwig Thoma noch einmal auf die süddeutsche
Perspektive der Gruppe um Langen hin. Südlich des Mains wisse man sich von der
Roheit frei, in Frankreich den Erbfeind zu sehen, schrieb er in einem offenen, am 12,
November 1908 im Berliner Tageblatt veröffentlichten Brief. Doch nicht nur Langen
wurde in Deutschland angegriffen, auch den französischen Mitarbeitern des März
nahm man es im eigenen Land übel, daß sie für eine liberale deutsche Zeitschrift
schrieben. Schaut man sich die nationalistische französische Presse der Vorkriegszeit
an, so werden die Franzosen, die für den März schrieben und die man fast ausschlie߬
lich der pazifistischen Linken zurechnen kann, immer wieder namentlich getadelt ( A.
France, J. Jaurès, P. Baudin, G. Hervé), bloßgestellt, manchmal auch beschimpft.
Als Langen 1909 starb, gewannen die nationalistischen und chauvinistischen Strö¬
mungen diesseits und jenseits des Rheins rasch Auftrieb. Kurz nach Langens Tod
stellten die Franzosen ihre Mitarbeit am März ein. Die ‘hohe Zeit’ der Vermittler war
bereits 1909 vorbei.
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