Full text: Sprachenpolitik in Grenzregionen

gilt dies, kann doch gerade in ethnodemographisch sehr kleinteilig strukturier¬ 
ten Räumen ein System kommunaler Schulhoheit die schulpolitischen Folge¬ 
probleme des ethnischen Flickenteppichmusters weit angemesseneren Lösungen 
zuführen als notwendig stark generalisierende zentrale Schulgesetzgebung und 
-Verwaltung. Das Beispiel des Schweizer Kantons Graubünden veranschaulicht 
dies aufs nachdrücklichste (siehe dazu Richter 1993, 354). 
Die über die kommunale Ebene hinausgehende Territorialautonomie ist ein Lö¬ 
sungsmodell mit deutlichen Vorteilen, aber auch mit immanenten Schwächen. 
Zunächst einmal hängt diese Lösung an einer Grundvoraussetzung, die nur bei 
einem kleineren Teil der Minderheiten wirklich erfüllt ist: die entsprechende 
Volksgruppe muß nämlich dominante Volksgruppe in einem halbwegs zusam¬ 
menhängenden Territorium sein, um über den Weg der Dezentralisierung staat¬ 
licher Aufgaben an regionale Einheiten wirklich bessere Problemlösungen zu 
erreichen. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, stellt also die ,Titulamation‘ eines 
autonomen Gebietes demographisch nur die Minderheit der Bevölkerung, so 
verkommt die Autonomie leicht zur reinen Fassadenlösung, wie im Falle so 
manchen autonomen Gebietes der alten Sowjetunion (bzw. der neuen Russi¬ 
schen Föderation). Als Illustration möge das Scheitern der meisten finno-ugri- 
schen Volksgruppen in Rußland dienen, in ,ihrem‘ autonomen Gebiet eine an¬ 
gemessene Regelung der Stellung ihrer Sprachen in der Schulausbildung zu er¬ 
zielen - und dies trotz eines ihren Belangen weitgehend entsprechenden Rah¬ 
mengesetzes der Föderation. Der Durchsetzung eines effektiven Minderheiten¬ 
schutzes scheint in diesen Fällen immer ein kleines Hindernis entgegenzustehen 
- die von der russischen Mehrheit dominierte Führung der Autonomen Repu¬ 
blik, die sich dem Ansinnen auf Förderung der Minderheitensprache widersetzt 
(Numminen 1993, 128). 
Wenn die Grundbedingung einer funktionierenden Territorialautonomie jedoch 
erfüllt ist, die Volksgruppe im mit Autonomie ausgestatteten Gebiet also die 
Mehrheit oder zumindest einen entscheidenden Anteil der Bevölkerung stellt, so 
ergibt sich ein anderes Folgeproblem. Minderheiten sind ganz und gar nicht da¬ 
gegen gefeit, wenn sie denn einmal Herrschaft erlangt haben, nun ihrerseits re¬ 
pressiv gegenüber den ihnen unterworfenen ,lokalen Minderheiten4 aufzutreten. 
Es stellt sich das Problem der „Minderheit in der Minderheit“, die eine noch 
kleinere und marginalere Minderheit sein mag (Walser im Aostatal), die aber 
auch die zahlenmäßig minoritäre Gruppe der lokal ansässigen Mitglieder des 
Mehrheitsvolkes sein mag (siehe dazu Heraud 1972, 265 ff.). Diese Minderhei¬ 
ten sind ihrerseits gegen die regionale Mehrheit zu schützen, verlangen nach 
rechtlich abgesicherter kommunaler Autonomie für ihre Siedlungsgebiete, nach 
Amtssprachenregelungen und entsprechenden schulrechtlichen Arrangements 
und bildungspolitischen Förderprogrammen, um nicht dem Assimilationsdruck 
der in der Region dominanten Volksgruppe zum Opfer zu fallen (Oeter 1994, 
510). 
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