Stefan Oeter
Juristische Aspekte der Sprachenpolitik
I. Einleitung
Sprachenpolitik und Rechtswissenschaft - die Verbindungslinie zwischen bei¬
den Disziplinen ist nicht offensichtlich. Bei genauerem Hinsehen wird man sich
allerdings bald dessen gewahr, daß Sprachenpolitik vielfältige juristische
Aspekte und Facetten aufweist. Wie jede Politik, so wird auch Sprachenpolitik
über Rechtsnormen umzusetzen und durchzusetzen gesucht. Amtssprachenrege¬
lungen, Vorgaben des Schulrechts zum Thema der Unterrichtsprache, aber auch
zur Frage der Minderheiten- und Fremdsprachen als Unterrichtsgegenstand,
Probleme der Staatsorganisation, insbesondere in der Gestalt von Autonomie¬
konstruktionen, alles dies sind Gegenstände des Interesses von Sprachenpolitik
wie Rechtswissenschaft. Dazu kommen die Grund- und Menschenrechte, die die
Bürger vor Drangsalierungen seitens des Staates schützen sollen - auch im Be¬
reich des Sprachgebrauchs und des kulturellen Lebens. Sprachenpolitik ist des¬
halb nicht zuletzt ein Problem des Menschenrechtsschutzes.
Die Perspektive des Verfassungs- und Verwaltungsrechtlers wie des Völker¬
rechtlers in diesen Fragen ist nun allerdings eine etwas andere als die des
Sprach- oder Sozialwissenschaftlers. Jede Disziplin hat ihre historischen Vor¬
prägungen (und Belastungen). Beschäftigung von Juristen mit Problemen der
Sprachenpolitik erfolgt seit gut hundert Jahren vorrangig unter dem Schlagwort
vom „Volksgruppenrecht“ bzw. „Minderheitenschutz“ (zur Begrifflichkeit vgl,
Ermacora 1972, 16 ff.; Blumenwitz 1992, 26 ff.). Schon die Begriffe erweisen
sich insoweit als überaus problematisch. Insbesondere der Begriff der
„Minderheit“ wird von den Betroffenen oft als diskriminierend empfunden.
Aber abzulösen ist dieser Begriff nur schwer: die Staats- und Verwaltungs¬
rechtswissenschaft ist schon von ihrem Ansatz her extrem staatszentriert. Der
moderne Staat jedoch baut in der Regel auf einer als selbstverständlich voraus¬
gesetzten Fiktion auf, der Fiktion der Einheit von Staatsgebiet und Staatsvolk.
Das Staatsvolk wird dabei als eine homogene Gemeinschaft gedacht, homogen
natürlich unter den Vorgaben der herrschenden Kultur. Dieses Bild störende
Gruppen werden dann leicht zum Fremdkörper, zur „Minderheit“ eben. Um
eine Fiktion handelt es sich bei dieser Vorstellung der einheitlichen Staatsna¬
tion, weil die Realität diesem Bild der Einheitlichkeit nicht gerade häufig ent¬
spricht. Der historische Normalfall in Europa ist das Zusammenleben mehrerer
39