Full text: Sprachenpolitik in Grenzregionen

gibt es eine Verfügung über die Rehabilitierung der Sowjetdeutschen, die frei¬ 
lich nicht realisiert wurde, und erst im Juli 1990 werden sämtliche repressiven 
Beschlüsse der Sowjetzeit aufgehoben. Seither gibt es wieder eine Wolgadeut¬ 
sche Bewegung, die freilich zerstritten ist, zum Teil eine Wolgarepublik an¬ 
strebt, zum Teil die Ausreise beantragt (derzeit etwa noch 700.000 - 800.000 
Menschen; die genaue Zahl ist unbekannt). Bei der Volkszählung 1989 gaben 
48,7 % der Sowjetdeutschen Deutsch als Muttersprache an, doch die Kommu¬ 
nikation verläuft häufig auf russisch, auch deshalb, weil niederdeutsche, 
westmitteldeutsche, ostmitteldeutsche und oberdeutsche Dialekte aufeinander- 
treffen. Tendenziell nimmt die Beherrschung germanischer Dialekte ab; die 
Zukunft einer etwaigen Wolgarepublik ist ungewiß. 
Noch ein kurzer Blick zur Ukraine: Dort gibt es an 11 Hochschulen das Fach 
Germanistik und an 18 Hochschulen eine spezifische Deutschlehrerausbildung.5 
Den zunehmenden Bedarf an Deutschunterricht und Germanistikstudium versu¬ 
chen, neben dem Goethe-Institut, die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen 
mit sogenannten „Programmlehrkräften“, die Robert-Bosch-Stiftung, ein M-O- 
E (Mittelosteuropa)-Sonderprogramm und weitere Institutionen zu decken. Der 
materielle wie personelle bundesdeutsche Aufwand ist beträchtlich; gelegentlich 
werden die Aktivitäten auch koordiniert, häufig nicht: ein Dilemma der Aus¬ 
wärtigen Kulturpolitik seit Jahren. 
So erfreulich im Grunde zahlreiche Details der Sprachförderung wie auch der 
Medienlandschaft sind, so sehr muß doch vor einer Euphorie gewarnt werden; 
zum einen läßt das Riesenreich nur punktuelles Arbeiten zu, und manchmal ist 
das nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Wenn man be¬ 
denkt, daß die Pädagogische Verbindungsarbeit des Goethe-Instituts Moskau bis 
nach Wladiwostok am Pazifischen Ozean reicht - oder genauer: reichen soll -, 
so wird das im Grunde Aberwitzige des Bemühens deutlich. Doch bereits die 
Eröffnung eines „Bibliotheksinstituts“ in Jekaterinburg - übrigens zusammen 
mit dem Institut français - ist ein schöner Erfolg und hilft vielen Menschen in 
der Region. Rußland, das lernen wir, braucht einen langen Atem! Doch die 
Pflege der deutschen Sprache dort ist sinnvoller als in manchem anderen Be¬ 
reich auf dem Globus. 
DatenbankDaF. Goethe-Institut e.V. München 1995, S. 46. 
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