gibt es noch eine weitere Bindung bei den historisch Orientierten, zumal im
Nordwesten und in Weißrußland: man erinnert sich, daß man zu Zeiten der
Hanse mit Plattdeutsch fast um die damalige Welt kam, zumindest aber im Ost¬
seeraum und bis nach Nishnij Novgorod die Kaufleute op Platt snakten und
keinen Dolmetscher brauchten, egal ob sie zu Hause mit ihren Kindern pol¬
nisch, deutsch, litauisch, niederländisch, estnisch, dänisch oder russisch redeten.
Noch nach dem Niedergang der Hanse um 1600 verständigte man sich vermit¬
tels des Deutschen. Deutsch war damals so etwas wie die lingua franca. Freilich
hat Englisch heute diese Rolle in Europa wie weltweit in vollem Maße über¬
nommen.
Neben diesen nahezu zwölf Millionen fremdsprachiger Deutschlemender gibt es
in den GUS-Staaten die Minderheitengruppen der Deutschen, vornehmlich
Rußlanddeutschen, deren Hauptsiedlungsgebiete die Karte zeigt (s.u. Abb. 2).4
Sie liegen in der ehemaligen Wolga-Republik, im westkasachischen Gebiet um
Orenburg, sodann im gesamten Kasachstan, in Westsibirien, in Kirgistan und
der Altai-Region. Aus ihrer Wechsel- wie leidvollen Geschichte wie aus der
Vielzahl russisch-deutscher Kontakte seien nur wenige Daten erwähnt: Im Jahre
959 bittet eine Abordnung der „Kiewer Rus“ Otto I. um einen Missionar; der
Mönch Adelbert aus dem Kloster St. Maximin bei Trier geht alsbald darauf auf
Missionsreise; vor wenigen Jahren feierte man das Millennium der Christiani¬
sierung. Bereits seit dem 11. Jahrhundert gibt es Absprachen - freilich häufig
für die polnischen Nachbarn eher leldvoller Art - zwischen deutschen und
russischen Herrschern in ihrer Politik gegenüber Polen. Um 1600 schickt
Reichsverweser Boris Godunow russische Studenten zum Studium nach Heidel¬
berg und Wien. Unter Zar Peter I. (1672 - 1725) werden die russisch-deut¬
schen Beziehungen intensiver, aber erst mit der Regierungszeit der Zerbster
Obristentochter und nachmaligen Zarin Katharina II. (1762 - 1796) werden
deutsche Siedler („Zweites Manifest“ 22.2.1763) in großer Zahl nach Rußland
geholt, die freilich 1871 eine Reihe von Privilegien (Steuerbefreiung usw.)
wieder verlieren und in Scharen nach Amerika auswandem. 1891 beginnt die
Russifizierung des deutschen Schulwesens in den Siedlungsgebieten.
Endgültig am 6.1.1924 wird die Autonome Sozialistische Wolgarepublik der
Wolgadeutschen um Saratov gegründet, doch schon Ende der 20er Jahre im
Zuge der „Entkulakisierung“ erfolgen Zwangskollektivierungen und Vertrei¬
bungen. Das Ende der Republik kommt am 22. Juni 1941 mit Hitlers Überfall
auf die Sowjetunion; Tausende werden nach Mittelasien und Sibirien depor¬
tiert. Am 28.11.1948 wird in einem Erlaß die „Verbannung der Sowjetdeut¬
schen auf ewig“ verfügt. Die deutsche Sprache wird verboten. Am 29.8.1964
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Ehemalige und heutige Siedlungsgebiete der Deutschen in der Sowjetunion (nach Dr. A.
Eisfeld). Auswärtiges Amt. In: Informationen zur politischen Bildung. Hg. von der Bun¬
deszentrale für politische Bildung, Bonn 1991, S. 24.
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