Roland Marti
Sprachenpolitik in den Grenzgebieten der Slavia
Sprache als das wichtigste menschliche Kommunikationsmittel ist wohl schon
immer bewußter Einflußnahme durch interessierte Kreise ausgesetzt gewesen.1
Eine Form dieser bewußten Einflußnahme, die Sprachenpolitik, soll im folgen¬
den dargestellt werden.
Sprachenpolitik scheint eine allgegenwärtige Erscheinung zu sein. Es gibt wohl
kaum eine Sprache, in deren Umfeld nicht sprachenpolitische Maßnahmen aus¬
gemacht werden können. Die besondere Ausprägung dieser Maßnahmen kann
aber durchaus unterschiedlich ausfallen, und zwar in Abhängigkeit von Gebiet,
Zeit und betroffenen Sprachen.2
Auch im slavischen Sprachgebiet ist die Sprachenpolitik nicht einheitlich. Sie
hat aber Gemeinsamkeiten, die so in anderen Sprachgebieten nicht Vorkommen.
Dies hängt im wesentlichen mit geschichtlichen und kulturellen Gegebenheiten
zusammen.3 Deshalb ist es m.E. gerechtfertigt, die Sprachenpolitik in ihren
unterschiedlichen Ausprägungen in der Slavia gesamthaft zu untersuchen. Dies
gilt um so mehr, als es meines Wissens eine entsprechende Darstellung nicht
gibt. Selbst für die einzelnen Sprachen ist die Forschungslage meist unbefriedi¬
gend.4 Eine gesamthafte Darstellung wäre nicht nur für die Slavistik wün-
Vgl. Kloss 1969, 281, der für sprachliche Veränderungen sowohl ein „Wachstum von
unten” als auch ein,Machen von oben” verantwortlich macht.
Man vergleiche etwa die Sprachenpolitik in Kanada in ihrer geschichtlichen Entwicklung
und gesondert für Québec bzw. das restliche Gebiet sowie die unterschiedliche Lage des
Französischen, des Englischen und der Indianer- bzw. Eskimo-Sprachen in diesem Land.
Es sei hier nur auf zwei gemeinsame Erscheinungen verwiesen: die Bewegung der
„slavischen Wechselseitigkeit” (mit ihren zahlreichen Sonderformen wie Panslavismus,
Austroslavismus, Slavophilie, Eurasier-Bewegung) und die Tatsache, daß das slavische
Sprachgebiet nach dem zweiten Weltkrieg im Einflußbereich des realen Sozialismus lag.
Dies hängt damit zusammen, daß Sprachenpolitik ein politisch äußerst heikles Gebiet ist
und zur Zeit des realen Sozialismus nur unter dem Blickwinkel der „marxistisch-lenini¬
stischen Nationalitätenpolitik” abgehandelt werden konnte. Obwohl diese Beschränkung
heute nicht mehr gilt, ist der Rückstand noch nicht aufgeholt.
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