Brixen anläßlich des Kolloquiums über Frühmittelalterliche Ethnogenese im
Alpenraum (Pfister/Pellegrini 1985, 50f.) gesprochen.
Wenn man den Satz liest: „Das Land zwischen Brenner und Salumer Klause
blieb bis um 600 n. Chr. ladinisch“ und das heutige (gepünktelte) Verbrei¬
tungsgebiet des Ladinischen betrachtet (Karte 1), so könnte man annehmen, die
heutigen Touristenzentren rund um die Sellagruppe hätten vor wenigen Jahren
zu Recht ihr 2.000jähriges Bestehen in den heutigen Dolomitentälem gefeiert.
Die Annahme ist jedoch falsch. Das auf Karte 1 gepünktelte Gebiet war zur
Römerzeit und im Frühmittelalter überhaupt nicht besiedelt. Archäologische
Nachweise der Römer besitzen wir nur aus dem Etsch-, Eisack- und Pustertal
sowie aus dem Piavetal (Cadore). Das heutige Siedlungsgebiet der Ladiner ist
keine Rückzugsstufe der Romanen, sondern ein Ausbaugebiet im Frühmittelal¬
ter, da die Sellatäler vor dem Jahre 1000 keine romanischen Dauersiedlungen
aufweisen. Die Stoßrichtungen dieser Siedler sind uns bekannt: aus dem Puster¬
tal (Kloster Sonnenburg) erfolgte die Besiedlung von Dörfern des Gadertals mit
Enneberg, verstärkt durch Zuzügler aus dem Lüsenertal; das Grödnertal wurde
vom Eisacktal und von dessen Hochterrassen her kolonisiert, ebenso der obere
Teil des Fassatals. Am Oberlauf des Cordevole begegneten sich die Siedler aus
dem Agordino und diejenigen aus dem Gadertal. Nicht zu dieser Siedlungszone
gehört der Raum um Cortina d’Ampezzo. Man spricht vom sog. ladino atesino,
das in den vier Dolomitentälem um die Sellagruppe herum gesprochen wird:
Grödnertal (Val Gardena), Gadertal (Val Badia), Buchenstein (Livinallongo)
und Fassatal (Valle di Fassa). Cortina d’Ampezzo gehört sprachlich zum ladino
cadorino, zusammen mit Gebieten am Oberlauf des Piave, dem Comelico (II
auf Karte 2); dies alles sind Gebiete, welche heute zur Provinz Belluno gehö¬
ren. Wenn Sie die mit Kreuzen markierte Linie auf Karte 3 verfolgen, stellen
Sie fest, daß das ladino cadorino gar nicht aufgenommen (keine Schraffierung)
und auch auf Karte 1 ausgeklammert wird - freilich nicht ganz: Cortina
d’Ampezzo erscheint im gepünktelten Raum.1
Trotz sprachlich eindeutiger Fakten wird von Politikern, Journalisten und ver¬
einzelten Sprachwissenschaftlern2 Cortina d’Ampezzo immer wieder vom la¬
dino cadorino abgetrennt und zum ladino atesino gerechnet, weil es vor 1919
politisch zu Südtirol gehörte.
Die sprachliche Zugehörigkeit von Cortina d’Ampezzo zum Cadore hat Carlo Battisti
nachgewiesen; Gian Battista Pellegrini stützte diese Auffassung durch den Hinweis auf
die unterschiedliche Art der Romanisierung: im Gegensatz zu den Sellatälem verfügt das
Cadore über eine autochthone Romanität (Battisti, C.: „La posizione dialettale di Cortina
d’Ampezzo“, DTA III 3, S. 1^15).
Craffonara 1981, 82: „Die heimische ladinische Bevölkerung im sehr stark unter¬
wanderten Cortina d’Ampezzo fühlt sich aus geschichtlichen Gründen zu den Sellaladi-
nem mehr hingezogen als zu den Cadore-Ladinem, zu denen sie strenggenommen gehört.
Wir werden sie somit in unsere Betrachtungen einbeziehen.“
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