scher Feder schnell popularisierte Grundsatz der Gleichsetzung von Geschichte
bzw. Sprache und staatlicher Einheit, der zudem noch statisch gedacht war,
entlarvte sich gerade im Grenzraum des Herzogtums Schleswig als pure
(romantische) Ideologie: Realiter war das Land zwar weithin deutschsprachig
geworden, über weite Strecken aber eben doch homogen gemischtsprachig: es
gab größtenteils keine klar voneinander abgegrenzten einsprachig-ethnischen
Sprachgebiete mehr; die jeweiligen Sprachgruppen waren zudem in einem ra¬
pide verlaufenden Sprachverlagerungsprozeß begriffen, der zu verwirrend un¬
einheitlichen Konfigurationen von Sprachlagen führte. Um die Mitte des 19.
Jahrhunderts stellte sich der Schleswiger Grenzraum daher als babylonisches
Sprachengewirr dar, mit zum Teil von Ort zu Ort differierenden Sprachmehr-
heiten und -minderheiten.
Seit der Hansezeit hatte sich - wie dargelegt - das Niederdeutsche im Herzog¬
tum Schleswig als formelle Amtssprache von Regierung und Verwaltung
durchgesetzt und wurde in dieser Funktion letztlich erst um und nach 1600
durch das landfremde Hochdeutsche abgelöst. Eine vorbildliche Wirkung kam
dabei nachgerade der herzoglichen Gottorfer Kanzlei in Schleswig zu, die sich
ihrerseits am Kopenhagener Schreibgebrauch orientierte. Als Folge davon rich¬
tete sich auch die tägliche Umgangssprache der ansässigen Bevölkerung mehr
und mehr am ,Deutschen* aus. Mit der Reformation hatte sich auf der Linie
Flensburg-Tondem freilich eine kirchensprachliche Trennung gebildet, die eine
prägende Kulturscheide wurde und damit die spätere Nationalstaatengrenze des
Versailler Vertrages vorwegnahm. Deutsch war im Nordschleswiger Raum
(südlich der Königsau) zwar weiterhin die Sprache der Verwaltung, des Han¬
dels und der Gewerbetreibenden; es wurde generell noch in den Städten gespro¬
chen, ebenso in den Stadtkirchen und Stadtschulen von Tondem, Apenrade,
Hadersleben oder Sonderburg.20 Als Kirchen- und Schulsprache setzte sich in
den nordschleswigschen Bistümern jedoch bleibend Dänisch durch.
Dies alles erklärt, warum die von dänischer Seite begonnenen staatlichen
Sprachplanungsversuche,21 die u.a. auf dem Wege der Revitalisierung eine Re-
danisierung des Raumes (als Zwangsdanisierung) zum Ziele hatten, von vom-
Dänische am Beispiel des Flensburgers Christian Paulsen (t 1854) s. Runge: „Dänische
Minderheit“ (1993), S. 74ff. Die heutige Sicht zur Frage ,Staatseinung über Sprache1
erörtert Isensee: Staat (1995), S. 3-6.
20 Vgl. Achelis: „Norburger Lateinschule“ (1939), S. 399-405 und die unter Anm. 4
angegebene Literatur, insbesondere Allen: Geschichte, II (1971), S. 394—399, passim (zur
Sprachverwendung im 19. Jh.); Schütt: „Stadtkultur“ (1987), S. 135-171 (Sprachverhält-
nisse in den Städten); Kohl: Deutsche und dänische Nationalität (1847), S. 168-189,
passim (zur Verbreitung des Plattdeutschen im nördlichen Schleswig ebd. S. 202-208).
^ Siehe Anm. 14. Grundsätzliche Aspekte einer Sprachplanung und Sprachpolitik behan¬
delt Coulmas: Sprache und Staat (1985), Kap. I—III; vgl. Menke: „Das Niederdeutsche“
(1992).
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