,weltbürgerlichen4 Prinzip
der ständisch-dynastischen Staaten (17./18. Jh.), deren Untertanen/Angehörige
nicht nach personenverbandsstaatlichen Kriterien definiert wurden. Da das
(transnationale) Indigenat ganzheitlich auf das Territorium (regio) des Landes-
herm bezogen war, gab es auch noch keine sprachenpolitische Diskreditierung;
vielmehr war eine indifferente Einstellung die Regel.17 Die Vorstellung, daß
Sprache, Staatszugehörigkeit oder Nationalbewußtsein übereinstimmen sollten,
ist sprachgeschichtlich gesehen ein junger Gedanke. Der Dänenstolz, die däni¬
sche Staatsgesinnung verband noch im späten 18. Jahrhundert alle Untertanen
des dänischen Königs, ganz gleich, ob sie nun Dänisch, Norwegisch, Friesisch,
Platt- oder Hochdeutsch sprachen. Es existierte vielmehr ein Gesamtstaatspa¬
triotismus, der sich durchaus auch in der deutschen Sprache artikulieren konnte.
Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es bei der süderjütisch-sprechenden
Bevölkerung des Schleswiger Raumes kein besonderes Sprachbewußtsein, von
einem partikularen Interesse ganz zu schweigen, und daher auch kein explizites
dänisches Kulturbewußtsein. Weder der Sprache noch dem Volkstum wurde
gemeinhin eine staatsbildende Kraft zugesprochen. Die Dynastien verfolgten
ihre macht- bzw. staatspolitischen Interessen durchaus unabhängig von ethni¬
schen oder nationalen Zielsetzungen, was freilich die betroffenen Bevölke¬
rungsgruppen - wie an zahlreichen metasprachlichen Kommentaren abzulesen
ist - auch wenig störte.
Im Grenzraum wurde die stete Expansion des Deutschen daher auch keineswegs
für unnatürlich gehalten, war dies doch eine natürliche Folge seiner kulturellen
Überlegenheit, d.h. seines funktionalen ,Mehrwerts4 und des daraus erwachse¬
nen Prestiges. Daß dieser Prozeß letzthin zum Verlust der Identität der
Südjüten bzw. Schleswiger führen mußte, dieses Wissen war ebensowenig
Gemeingut wie überhaupt das um die Zusammenhänge zwischen Sprache,
Kultur und nationalem Zugehörigkeitsgefühl. Für den Bürger im dänischen
Gesamtstaat war es eben selbstverständlich und eine alltägliche Erfahrung, daß
sich dänische Gesinnung und deutscher Sprachgebrauch miteinander verbinden
konnten.
Diese die Unterschiede hinnehmende ,mentale Landkarte4 der Zeitgenossen ent¬
sprach durchaus den gewachsenen historisch-politischen Verhältnissen. Seit al¬
ters her waren die selbstverwalteten Herzogtümer Schleswig und Holstein durch
eine geographische und politisch-territoriale Grenze voneinander geschieden:
Beide trennte eine Naturgrenze im Verlauf von Eider und Levensau, die sowohl
eine Wasser- als auch Landscheide bildeten. Es war zugleich die alte dänische
Siedlungs- und Reichsgrenze. Die Landesteile waren seit dem Ripener Vertrag
17 Hierzu und zum Folgenden s. etwa Runge: „Dänische Minderheit“ (1993), S. 73ff. Zum
pränationalen Sprachverständnis (Sprache/Sprecher - Staat-Relation) s. auch Wimmer
(Hrsg.): Das 19. Jahrhundert (1991), dort die Beiträge zur Sprachenpolitik, S. 95ff.
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