Full text: Sprachenpolitik in Grenzregionen (29)

renden Sprache, nämlich der niederdeutschen, getragen ist: Frühzeitig hatte sich 
das Mittelniederdeutsche im slawischen Siedlungsraum Ostholsteins durchge¬ 
setzt (Ostkolonisation des 12./13. Jahrhunderts). - Mit dem Ausgreifen der hol¬ 
steinischen Ritterschaft/Geistlichkeit in den Südschleswiger Raum zwischen Ei¬ 
der und der Linie Schlei/Danewerk/Kograben - die erste, diesen Raum betref¬ 
fende mittelniederdeutsche Urkunde datiert aus dem Jahre 1325i 3 - gewinnt das 
Niederdeutsche auch nach Norden hin Raum (Sprachexpansion von Süden her 
durch Kolonisation).4 Für die bürgerlichen Mittel- und Führungsschichten der 
größeren Städte5 wie etwa Schleswig, Husum und wohl auch Flensburg ist seit 
dem späten Mittelalter eine partielle, medial-diglossische Zweisprachigkeit in 
Verbindung mit dem Niederdeutschen anzunehmen, dessen Schreibform sich 
am Usus der Lübecker Kanzleipraxis orientierte. Dieser Sprachtyp strahlt nach¬ 
weislich ins unmittelbare städtische Umland aus (Sprachwechselgebiet).6 - Er¬ 
hebliche Einbußen verzeichnet mit der Zeit auch der nordfriesische Sprach- 
raum,7 in dem das Niederdeutsche seit jeher die zugehörige Schreibsprache war 
(s. Chronistik, Urkundungswesen und Rechtskodifizierung), frühzeitig aber 
auch als Sprechsprache der Domäne Kirche fungierte. In der Zeit zwischen 
1580/90 und 1700 geht die Landschaft Eiderstedt (Frisia frisissima!) zur nie¬ 
derdeutschen Sprechsprache über; mit der großen Sturmflut des Jahres 1634, 
die das friesische Zentrum Altnordstrand zerstörte, setzte sich das Niederdeut¬ 
sche zudem auf den Marschinseln fest. Um 1650 charakterisiert Caspar Danck- 
werth die Sprachverhältnisse Nordfrieslands denn auch folgendermaßen: 
„Diese Einwohner reden zwar heut zu Tage gemeinlich Teutsch oder Nie¬ 
dersächsisch; die nach dem Norden belegene wissen auch ihre Dänische 
i In Kiel ausgestellte mittelniederdeutsche Urkunde vom 12. April 1325, abgedruckt u. a. 
im Diplomatarium Danicum, 2. Reihe, Bd. 9, Nr. 182; s. dazu Jörgensen: Schleswiger 
Niederdeutsch (1954), S. 20-22, 24f. (mit genauer Kollation). 
4 Zum jütisch-(platt)deutschen Sprachwechselprozeß im Schleswiger Raum s. insbesondere 
Bock: Niederdeutsch (1933); Mensing: „Plattdeutsch“ (1938); Bock: Mittelniederdeutsch 
(1948); Jörgensen (Anm. 3); Bock: „Forschung“ (1969); Allen: Geschichte (1971); Gre¬ 
gersen: Plattysk (1974); Spndergaard (Anm. 2); Selk: Sprachliche Verhältnisse (1986), 
darin - S. 209 bis 225 - auch der Aufsatz zum Sprachwandel als Kulturbewegung; 
Gregersen: „Kultursprache“ (1989). 
5 Die demographische Zusammensetzung der städtischen Bevölkerung untersucht Hoff- 
mann: Herkunft (1953); zur Sprachgeschichte der Städte Schleswig und Flensburg s. Nie¬ 
mann: Untersuchungen (1988) und Schütt: Geschichte der Schriftsprache (1919). 
6 Schütt (Anm. 5), S. 16, stellt für Flensburg fest, daß mittelniederdeutsche Schreibsprache 
und städtische Umgangssprache im wesentlichen übereinstimmen. Im Gegensatz zur hol¬ 
steinischen Mundart kennt das Schleswiger Niederdeutsch beispielsweise den Einheits¬ 
plural/Präsens auf -(e)n (statt -t), die Aussprache von anlautend lg/ als Reibelaut [x] und 
die ungerundete Form von willen (statt wällen). Diese sprechsprachlichen Varianten fin¬ 
den ihre Entsprechung in der mittelniederdeutschen Schreibsprache , Lübecker Norm1. 
7 Nickelsen: Sprachbewußtsein (1982), S. 17-53, passim. 
139
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.