renden Sprache, nämlich der niederdeutschen, getragen ist: Frühzeitig hatte sich
das Mittelniederdeutsche im slawischen Siedlungsraum Ostholsteins durchge¬
setzt (Ostkolonisation des 12./13. Jahrhunderts). - Mit dem Ausgreifen der hol¬
steinischen Ritterschaft/Geistlichkeit in den Südschleswiger Raum zwischen Ei¬
der und der Linie Schlei/Danewerk/Kograben - die erste, diesen Raum betref¬
fende mittelniederdeutsche Urkunde datiert aus dem Jahre 1325i 3 - gewinnt das
Niederdeutsche auch nach Norden hin Raum (Sprachexpansion von Süden her
durch Kolonisation).4 Für die bürgerlichen Mittel- und Führungsschichten der
größeren Städte5 wie etwa Schleswig, Husum und wohl auch Flensburg ist seit
dem späten Mittelalter eine partielle, medial-diglossische Zweisprachigkeit in
Verbindung mit dem Niederdeutschen anzunehmen, dessen Schreibform sich
am Usus der Lübecker Kanzleipraxis orientierte. Dieser Sprachtyp strahlt nach¬
weislich ins unmittelbare städtische Umland aus (Sprachwechselgebiet).6 - Er¬
hebliche Einbußen verzeichnet mit der Zeit auch der nordfriesische Sprach-
raum,7 in dem das Niederdeutsche seit jeher die zugehörige Schreibsprache war
(s. Chronistik, Urkundungswesen und Rechtskodifizierung), frühzeitig aber
auch als Sprechsprache der Domäne Kirche fungierte. In der Zeit zwischen
1580/90 und 1700 geht die Landschaft Eiderstedt (Frisia frisissima!) zur nie¬
derdeutschen Sprechsprache über; mit der großen Sturmflut des Jahres 1634,
die das friesische Zentrum Altnordstrand zerstörte, setzte sich das Niederdeut¬
sche zudem auf den Marschinseln fest. Um 1650 charakterisiert Caspar Danck-
werth die Sprachverhältnisse Nordfrieslands denn auch folgendermaßen:
„Diese Einwohner reden zwar heut zu Tage gemeinlich Teutsch oder Nie¬
dersächsisch; die nach dem Norden belegene wissen auch ihre Dänische
i In Kiel ausgestellte mittelniederdeutsche Urkunde vom 12. April 1325, abgedruckt u. a.
im Diplomatarium Danicum, 2. Reihe, Bd. 9, Nr. 182; s. dazu Jörgensen: Schleswiger
Niederdeutsch (1954), S. 20-22, 24f. (mit genauer Kollation).
4 Zum jütisch-(platt)deutschen Sprachwechselprozeß im Schleswiger Raum s. insbesondere
Bock: Niederdeutsch (1933); Mensing: „Plattdeutsch“ (1938); Bock: Mittelniederdeutsch
(1948); Jörgensen (Anm. 3); Bock: „Forschung“ (1969); Allen: Geschichte (1971); Gre¬
gersen: Plattysk (1974); Spndergaard (Anm. 2); Selk: Sprachliche Verhältnisse (1986),
darin - S. 209 bis 225 - auch der Aufsatz zum Sprachwandel als Kulturbewegung;
Gregersen: „Kultursprache“ (1989).
5 Die demographische Zusammensetzung der städtischen Bevölkerung untersucht Hoff-
mann: Herkunft (1953); zur Sprachgeschichte der Städte Schleswig und Flensburg s. Nie¬
mann: Untersuchungen (1988) und Schütt: Geschichte der Schriftsprache (1919).
6 Schütt (Anm. 5), S. 16, stellt für Flensburg fest, daß mittelniederdeutsche Schreibsprache
und städtische Umgangssprache im wesentlichen übereinstimmen. Im Gegensatz zur hol¬
steinischen Mundart kennt das Schleswiger Niederdeutsch beispielsweise den Einheits¬
plural/Präsens auf -(e)n (statt -t), die Aussprache von anlautend lg/ als Reibelaut [x] und
die ungerundete Form von willen (statt wällen). Diese sprechsprachlichen Varianten fin¬
den ihre Entsprechung in der mittelniederdeutschen Schreibsprache , Lübecker Norm1.
7 Nickelsen: Sprachbewußtsein (1982), S. 17-53, passim.
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