Hubertus Menke
,Ich bin ein Däne und spreche deutsch4.
Zur Sprachgeschichte und Sprachenpoutk im deutsch¬
dänischen Grenzraum
i
Die Vorstellung von der Einheit der germanischen Sprachen hat - ungeachtet
der einzelsprachigen Vielfalt - eine lange Tradition. Bereits im Jahre 1845 for¬
muliert Karl Müllenhoff, einer der Nestoren des Germanistischen Seminars der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, in einem Gesuch an den dänischen
König, daß sich die germanistische Wissenschaft* an der Landesuniversität in
ihrer ganzen Breite mit Nordisch und Dänisch, mit Hochdeutsch, Niederdeutsch
und Friesisch zu befassen habe, „weil diese Sprachen alle sich in unserem
Lande begegnen“.1 Dem liegt ein heterogen gedachtes Sprachlagenmodell zu¬
grunde, das schon damals der Wirklichkeit nicht mehr voll und ganz entsprach.
Es geht davon aus, daß zwei oder mehrere Sprachen innerhalb eines Territori¬
ums von verschiedenen Menschengruppen gesprochen werden. Denkbar sind
zwei Möglichkeiten: Entweder die jeweiligen Sprachen existieren in geogra¬
phisch voneinander abgegrenzten Arealen (innerhalb derer dann jeweils Ein¬
sprachigkeit herrscht) oder sie existieren in ein und demselben Gebiet für sozial
voneinander getrennte Sprechergruppen; es wohnen also Menschen verschiede¬
ner (Mutter-)Sprache in einer unmittelbaren Lebensgemeinschaft beieinander.
Bis heute gehen die meisten sprachpolitischen und sprachkultureilen Überle¬
gungen vom Konzept dieser heterogenen Mehrsprachigkeit aus, obwohl über¬
wiegend eine homogene Bi- oder Multilingualität vorliegt: In diesem Fall wer¬
den verschiedene Sprachen innerhalb eines Territoriums von denselben Spre¬
chern verwendet, entweder diglossisch gesteuert, z.B. auf offiziellem oder auf
Dialektniveau, oder auf beiden Ebenen zugleich.
Eine Entwicklung von der heterogenen, also der geographisch oder sozial ge¬
trennten Mehrsprachigkeit zur homogen-individuellen kennzeichnet in beson¬
Hofmann: „Philologie“ (1969), S. 193; Menke: Niederdeutsch (1986), S. 10. Zu den
Sprachen im deutsch-dänischen Grenzgebiet s. einführend Kuhn: „Sprachen“ (1963);
Byram: Phänomen (1979); Menke: „Dialekte“ (1989), S. 60-63; Sdndergaard: „Fight“
(1981).
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