Full text: Sprachenpolitik in Grenzregionen

kel, aber ein echter Durchbruch des Kreolischen, wiewohl verbal befürwortet, 
scheint noch weit zu sein; für das Französische ist der Bereich der schriftlichen 
Kommunikation die letzte Bastion, in der die Konkurrenz des Kreolischen noch 
wenig zu spüren ist. Schematisch ausgedrückt wird also der schriftliche Bereich 
heute unter Überlassung eines marginalen Segments an B2 von A und B¡ im 
Verhältnis zwei zu eins beherrscht, während im mündlichen Bereich B2 völlig 
dominiert und für A und Bj nur noch der Bereich der Außenkommunikation, 
also vor allem der Kontakt zu Touristen, bleibt. 
Von den gesetzlichen Regelungen her ist die Situation auf den Seychellen völ¬ 
lig anders als auf Curasao: Die eigene Sprachform ist Nationalsprache, die 
Kolonialsprachen sind nur noch geduldet. Auf die Realität hat diese Rechtslage 
wenig Einfluß: Die Stellung des Papiamentu auf Curasao auch außerhalb des 
Bereiches der Alltagskommunikation ist unvergleichlich viel gefestigter als die 
des Kreolischen auf den Seychellen. Ein Grund ist sicherlich darin zu sehen, 
daß auf Curasao kein merklicher Bj ^-Konflikt Spanisch-Papiamentu aufkam, 
während auf den Seychellen, nicht zuletzt dank der Einführung einer „un- 
französischen” Orthographie, gerade von traditionsbewußten Kreisen jedes Vor¬ 
rücken des Kreolischen als Zurückdrängung des Französischen empfunden 
wurde, also ein B[-B2-Interessengegensatz auftrat, der bislang das Vorrücken 
des Kreolischen über die Sphäre des mündlichen Alltagssprache verhindert. 
Zurück nach Europa! Mein nächstes Beispiel genießt sicherlich eine etwas grö¬ 
ßere Bekanntheit: Es geht um das Nebeneinander von Deutsch, Italienisch und 
Ladinisch im Grödnertal. Ganz bewußt behandele ich nicht das gesamte do- 
lomitenladinische Sprachgebiet mit seinen etwa dreißigtausend Sprechern, denn 
abgesehen von schwierigen Abgrenzungsproblemen liegen die sprachlichen 
Dominanzverhältnisse in jeder einzelnen Talschaft ganz anders. Die folgenden 
Ausführungen gelten also nur für Gröden mit seinen etwas sechstausend Ein¬ 
wohnern. 
Unter Weglassung all der schwierigen, in der Romanistik unter dem Etikett 
„questione ladina” bekannten Klassifikationsfragen, die sich darum drehen, ob 
man das Dolomitenladinische als eigenständige sprachliche Größe, als letztlich 
dem Italienischen zuzuordnende Mundart oder als Bestandteil des Rätoromani¬ 
schen neben dem Bündnerromanischen und Friaulischen zu betrachten hat 
(Battisti 1937; Kramer 1986; Pellegrini 1991), kann man davon ausgehen, daß 
für das Bewußtsein der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung zwei große und 
eine kleine Sprache nebeneinander existieren, nämlich Deutsch, Italienisch und 
Ladinisch in seiner Grödner Variante. Man sollte angesichts der Tatsache, daß 
das Grödner Tal zu Italien gehört, annehmen, daß nach unserem Schema das 
Italienische die Position A besetze, also die Sprache mit dem höchsten Prestige 
sei; unter Berücksichtigung der lokalen und regionalen Verhältnisse wird diese 
Stelle jedoch eher durch das Deutsche ausgefüllt (Pellegrini 1991, 44-45), so 
daß wir also wieder das nun schon vertraute Bild erhalten: Die nicht verwandte 
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