Rücksicht auf eine etwaige praktische Nützlichkeit als Pflicht-Zweitsprache
schulisch zu vermitteln.
Ich komme zum zweiten Beispiel, den Sprachverhältnissen auf der von etwa
143 000 Menschen bewohnten2 und zu den Niederländischen Antillen gehören¬
den Insel Curaçao. Auch hier möchte ich zunächst ganz kurz die sprachliche
Geschichte skizzieren (nach Hartog 1993). Als niederländische Truppen 1634
Curaçao in Besitz nahmen, setzten sie die wenigen Spanier und Ureinwohner
auf das Festland über; zunächst kamen nur Personen niederländischer Mutter¬
sprache, vor allem Militär, Seeleute, Verwaltungskräfte und Händler, auf die
Insel. Zwischen 1648 und 1778 war die Insel der bedeutendste Umschlagplatz
für schwarze Sklaven, die auf niederländischen Schiffen aus dem westlichen
und südwestlichen Afrika herangeschafft wurden, um vor allem ins spanische
Südamerika weiterverkauft zu werden; einige Sklaven blieben aber auch auf
Curaçao. Als dritte Bevölkerungsgruppe sind die portugiesischen Juden zu nen¬
nen, denen ab 1659 Religions- und Kulturfreiheit zugesichert war und die an
der Wende vom 17. zum 18. Jh. nahezu die Hälfte der ansässigen weißen Fa¬
milien ausmachten. In dieser gemischten Gesellschaft bildete sich wohl noch im
17. Jh. eine Papiamentu genannte Kreolsprache auf iberoromanischer Basis her¬
aus, die im Laufe der Zeit auch von den auf der Insel einheimischen Weißen
übernommen wurde - das erste Sprachdokument aus dem Jahre 1775 stammt
bezeichnenderweise aus der jüdischen Gemeinde (Wood 1972; Salomon 1982).
Spätestens im 18. Jh. hatte sich also die Situation herausgebildet, die in ganz
groben Zügen noch heute gilt: Niederländisch als Prestigesprache, Papiamentu
als Umgangssprache. Man muß freilich hinzufügen, daß das Bild unvollständig
wäre, würde man nicht einen dritten Partner, das Spanische, berücksichtigen.
Ohne auf die heiß diskutierte, aber wahrscheinlich falsch gestellte Frage einge-
hen zu wollen, ob das Papiamentu eher eine spanische oder eher eine portugie¬
sische Basis hat (Kramer 1995), bleibt doch festzustellen, daß die Nähe des
Papiamentu-Wortschatzes zum Spanischen so groß ist, daß sie von jedem Laien
erkannt werden kann; zudem sind die Beziehungen von Curaçao zu dem nur 60
km entfernten Venezuela immer recht eng gewesen; schließlich sind auch die
kirchlichen Kontakte der mehrheitlich katholischen Antillianer zum Festland
nicht zu unterschätzen. Kein Wunder also, daß etwa bis zum Ersten Weltkrieg
das Spanische nahezu wie eine Überdachungssprache für das Papiamentu be¬
handelt wurde; die ersten Versuche, im Bereich von Bildung und Kultur ohne
das Niederländische auszukommen, bedienten sich des Spanischen. So gab es
Schulen, deren Unterrichtssprache das Spanische war, es gab spanischsprachige
Zeitungen, Theateraufführungen und eine literarische Produktion; bei festlichen
Gelegenheiten (Hochzeiten, Beerdigungen, Jubiläen usw.) wurden spanische
Ansprachen üblich,3 und noch bis in die jüngste Zeit wurden Familienanzeigen
spanisch abgefaßt, denn das Spanische gilt als würdevoll (Hartog 1993, 116).
2 Der Fischer Weltalmanach, Frankfurt 1993, S. 537: 143 816 Einwohner.
3 Encyclopédie van de Nederlandse Antillen, Zutphen 21985, S. 456.
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