Einleitung
Sprache hat als wichtigstes Kommunikationsmittel der Menschheit eine eigen¬
tümliche Doppel Wirkung: die gemeinsame Sprache eint, während unterschiedli¬
che Sprachen trennen. Häufig ist deshalb Sprache im zwischenmenschlichen
Verkehr ein außerordentlich wichtiges Zeichen für Zugehörigkeit bzw. Fremd¬
heit, ein Zeichen übrigens, das auch zu diesem Zwecke mit zum Teil fatalen
Folgen instrumentalisiert werden kann: erinnert sei hier an das biblische
Schibboleth (Rieht. 12, 6) oder an ciciri während der Sizilianischen Vesper.
Nicht zufällig beziehen sich in zahlreichen Sprachen Bezeichnungen für
Fremde auf Sprachliches, etwa griech. ßapßapoQ oder slav. nem- (und daraus
nemec ,Fremder4 bzw. ,Deutscher4), beide wohl ursprünglich lautnachahmend
für unverständliches Reden, letzteres später in der Bedeutung ,stumm4.
Die verbindende Kraft der gemeinsamen Sprache und das Trennende unter¬
schiedlicher Sprachen ist schon früh erkannt und auch in politische Überlegun¬
gen einbezogen worden: den frühesten symbolischen Ausdruck hat dies wohl in
der Geschichte vom Turmbau zu Babel gefunden (1. Mos. 11). Aus dieser Er¬
kenntnis haben sich im Laufe der Zeit, besonders intensiv aber im 19. und 20.
Jahrhundert, mannigfache Formen der Sprachenpolitik entwickelt. Das letzte
aktuelle Beispiel in Europa ist das ehemalige Jugoslawien, wo gleichzeitig mit
den „ethnischen Säuberungen“ auch „sprachliche Säuberungen“ stattgefunden
haben.
Sprachenpolitik nutzt, wenn sie von der Politik instrumentalisiert wird, sprach¬
liche Gegebenheiten für nichtsprachliche Zwecke. Sie ist insbesondere nützlich
für die Rechtfertigung bestehender Grenzen oder bei einer angestrebten Grenz¬
veränderung. Es erstaunt deshalb kaum, daß Sprachenpolitik gerade in Grenz¬
regionen eine wichtige Rolle spielt. Grenzregionen sind öfter sprachenpoliti¬
schen Maßnahmen ausgesetzt, die in erster Linie politischen Zielen des Ge¬
samtstaates und nicht den Interessen der Bevölkerung dieser Gebiete dienen,
und sprachenpolitische Maßnahmen, die den Gesamtstaat betreffen, erfahren
hier vielfach eine besonders markante Ausprägung. Grenzregionen sind deshalb
für die Analyse von Sprachenpolitik von besonderem Interesse.
Von diesen Überlegungen ließ sich der interdisziplinäre Forschungsschwer¬
punkt „Grenzregionen und Interferenzräume“ der Philosophischen Fakultät der
Universität des Saarlandes bei der Planung einer wissenschaftlichen Tagung
leiten. Er befaßt sich seit einigen Jahren mit typologischen und entwicklungsge¬
schichtlichen Fragen von Grenzen und mit dem Zusammenwirken verschiede¬
ner Arten von Grenzen („natürliche“, politische, kulturelle, religiöse, sprachli¬
che usw.) sowie mit ihrer Wirkung auf Leben und Denken der Bevölkerung in
diesen Gebieten. Das Paradigma des Forschungsschwerpunktes, in dem Geo¬
graphie, Vor- und Frühgeschichte, Geschichte sowie romanistische, germanisti-
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