Frauke Stein
Frühmittelalterliche Bevölkerungsverhältnisse im Saar-Mosel-
Raum. Voraussetzungen der Ausbildung der deutsch¬
französischen Sprachgrenze?
1. Einleitung: Begründung der Fragestellung und Schritte der Darstellung
Das Symposion hat sich zum Ziel gesetzt, das Phänomen "Grenzen und Grenz¬
regionen" aus der Sicht der verschiedensten Disziplinen zu betrachten und zu
diskutieren. Mir ist dabei die Aufgabe zugefallen, ein erstes Paradigma zu
umreißen. Wenn gefragt wird, ob frühmittelalterliche Bevölkerungsverhältnisse im
Saar-Mosel-Raum gewisse Voraussetzungen der Ausbildung der deutsch¬
französischen Sprachgrenze bilden könnten, so muß man sich im klaren darüber
sein, daß archäologische Quellen primär über sprachliche Verhältnissen keine
Aufschlüsse ermöglichen. Doch lassen sich mit ihrer Hilfe Phänomene erfassen,
die ihrerseits eng mit der Sprache verknüpfbar sind. Diese Bezüge möchte ich als
Prämissen formulieren und, obwohl sie selbstverständlich strictu sensu nicht
bewiesen werden können, aber plausibel sind, im folgenden davon ausgehen:
Prämisse 1 lautet: Obwohl grundsätzlich nicht angenommen werden kann, daß
sich Sprache, Ethnie und Kultur voll decken, ist damit zu rechnen, daß im
frühmittelalterlichen Merowingerreich die ethnische Zugehörigkeit der Menschen
sich auch in ihrer Muttersprache ausdrückt, d.h. ein Mensch, der sich der
einheimischen Bevölkerungsgruppe zugehörig fühlte, sprach als Muttersprache
"romanisch", ein Mensch, der sich als Franke fühlte, "fränkisch".
Prämisse 2 lautet: Ethnische Zugehörigkeit, verstanden als Selbstverständnis im
Sinne von Reinhard Wenskus1, oder als Identitätsbewußtsein, um einen in der
Psychologie und Soziologie üblichen Ausdruck aufzugreifen, wirkt sich im
kulturellen Verhalten in den verschiedensten Bereichen aus.
Ausgehend von diesen Prämissen muß es möglich sein, die stummen archäologi¬
schen Quellen, die zu den "Überresten" im Sinne Droysens und Bemheims ge¬
hören, für diese Frage auszuwerten. Dies ist deshalb wichtig, weil für die
Beurteilung historischer und erst recht sprachlicher Entwicklungen in der
Spätantike und im frühen Mittelalter, die zur Herausbildung von Grenzen
verschiedener Art führten, für den Bereich des Saar-Lor-Lux-Raumes oder Saar-
Mosel-Raumes, wie ich diesen Raum hier nenne, kaum schriftliches Quel¬
lenmaterial zur Verfügung steht.
Es kann dabei in diesem Rahmen nicht darum gehen, ein fertiges Bild zu zeich¬
nen; dieses ist auch noch gar nicht vorhanden. Den Forschungsstand und die me-
i
Wenskus, Stammesbildung und Verfassung, S. 12f., 89ff. und passim.
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