dieses Verteidigungssystem um 400 mindestens im germanischen Bereich ganz
aufgegeben.
Limites gab es in fast allen römischen Grenzprovinzen, doch sind sie allenfalls
als absolute Verteidigungslinien anzusprechen, die mit verschiedensten Wehrbau¬
ten besetzt, nach allgemeiner Überzeugung aber gerade keine Staatsgrenzen
waren21. Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß sich seit dem 3.-4. Jahrhundert
manches änderte. So berichtet Ammianus Marcellinus, der den entsprechenden
Teil seiner Römischen Geschichte vermutlich in den Jahren 390-391 veröffent¬
lichte, zum Jahre 359, Kaiser Julian sei auf einem Rachefeldzug durch Gebiete
östlich des Rheines gezogen und habe erst ein Lager aufgeschlagen in der
Gegend, die Capellatii oder Palas genannt wird, wo Grenzsteine die Gebiete der
Römer und Burgunden scheiden - ubi terminales lapides Romanorum et
Burgundiorum confinia distinguebant22.
Eine genauere Bestimmung der Gegend ist kaum möglich, auch die Angabe von
Grenzsteinen erscheint der Forschung fast durchweg unglaubwürdig. Für sie steht
Eduard Norden vor allem, der mit Entschiedenheit betonte, daß es eine
sogenannte Versteinung der römischen Reichsgrenze nirgends gegeben habe23.
Reicht aber ein solches Argument?
Statt einer Antwort, die zurückgestellt werden muß, soll nach Zeugnissen in
späterer Zeit gesucht werden. Dem vorzugsweise bäuerlichen Charakter germani¬
scher Volksrechte entspricht es, wenn Fragen des Grenzfrevels regelmäßig straf¬
rechtlich katalogisiert werden. Fast immer handelt es sich um das verbotene
Beseitigen oder Verrücken realer Zeichen: Also Markierungen von Acker- und
Flurgrenzen durch signierte Bäume, in die Erde gesteckte Äste, herausragende
und auch gesetzte Steine u.a.m. Die Fragmenta Codicis Euriciani, die Lex
Visigothorum und Lex Baiuvariorum mit beachtlicher wechselseitiger
Abhängigkeit24, aber auch die Lex Alamannorum, König Theoderichs Edikt, Lex
Gundobada und Lex Romana Burgundionum behandeln und strafen Grenz¬
2* C. B. Rüger," Art Limes", in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2 (1978),
Sp.2036ff.
Animianus Marcellinus, Römische Geschichte, lateinisch und deutsch und mit einem Kommentar
versehen von Wolfgang Seyfarth (Schriften und Quellen der alten Welt 21, 1-4), 4 Teile, Berlin 1968-
71. Hier Teil 2, S.12f. (Buch 18,2,15). Zur Datierung s. Seyfarths Einleitung, Teil 1, S.26.
Eduard Norden, Alt-Germanien. Völker- und namengeschichtliche Untersuchungen (Leipzig 1934,
Nachdruck Darmstadt 1962), insbes. S.65ff.: "Reichsgrenze oder Territorialgrenze?" - S. auch Peter
Wackwitz, Gab es ein Burgunderreich in Worms? Teil 1 (Worms 1964), S.41 sowie Teil 2 (Worms
1965), S.32 mit Anm. 183flf. (= Wormsgau, Beihefte 20 und 21).
24 S. Leges Visigothorum, ed. Zeumer: MGH Leg. Sect. I, Bd. I (Hannover-Leipzig 1902); Leges
Baiuwariorum, ed. E. v. Schwind: MGH Leg. Sect. I, Bd. V,2 (Hannover 1926). Zu den Abhängig¬
keiten vgl. allgemein Hermann Nehlsen, Sklavenrecht zwischen Antike und Mittelalter.
Germanisches und römisches Recht in den germanischen Rechtsaußeichnungen. I: Ostgoten,
Westgoten, Franken, Langobarden (Göttingen 1972), S.158f.
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