seinen Gemarkungen zufrieden sein, und alle sollten jeweils einzeln ihren Acker¬
bau vornehmen. So wird auch heute diese ganz niedere Welt geleitet unter der
Unterscheidung der Reiche, Stämme und Sprachen, wobei die Reiche auch wieder
in Gebiete und schließlich in Äcker und Weide aufgeteilt sind, indem den Leuten
einzeln nach dem verschiedenen Stand in der Welt unter einem bestimmten Maß
die Hufen zum Besitz übergeben sind"7.
Mit beiden Äußerungen sei der Betrachtungsrahmen zunächst abgesteckt:
Grenzen sind ein uraltes Phänomen; nach dem Sündenfall konstituieren sie die
Gesellschaft; sie sollen auch das Durcheinander der Äcker vermeiden. Die
deutsche Fassung der Geometria Culmensis faßt das Motiv noch weiter: uf das do
nicht wurde eyn vormischunge der lute und der gesiechte und der guter, und
ouch daz eyn yderman syn lant und yn richteger grenicze mochte ackeren und
pßanczen und das genisen und eynem anderen daz syne lossen, alsystys hüte ...8
Im Gegensatz zu Rousseau und dem zitierten Traktat über die Landvermessung
aus der Zeit des Deutschordenshochmeisters Konrad von Jungingen (1393-1407)
betont die herrschende Lehre, daß die frühmittelalterlichen Reiche nicht linear
nach außen abgegrenzt, sondern von Grenzsäumen umgeben waren. Solche konn¬
ten naturräumlich begünstigt sein, sich also an Gebirge, Steppen, Sümpfe,
Wälder, Flüsse oder Seen anlehnen, gelegentlich mochten aber auch bewußt
siedJungsarm oder siedlungsleer gehaltene breite Grenzzonen zugleich als Schutz
gegenüber Nachbarn gegolten haben. Nach Hans F. Helmolt hat sich im alten
Deutschland aus dem Grenzsaum die Entwicklung der Grenzlinie vollzogen, und
zwar allmählich seit der 2. Hälfe des 12. Jahrhunderts9. Diese von Helmolt 1896
vertretene These ist 1972 von Hans-Jürgen Karp für den ostmitteleuropäischen
Raum grundsätzlich bestätigt worden, wobei Karp einen deutlichen
Zusammenhang zwischen linearer Grenzziehung und dem Aufkommen und der
Verbreitung des slawischen Lehnwortes granica (Grenze) herausarbeiten
konnte10. Das neue Wort scheint der neuen Sache zu entsprechen. Nach Klaus
Neitmann, dessen Untersuchung über "Die Staatsverträge des Deutschen Ordens
in Preußen" 1986 erschien, sei aber dem Deutschordensstaat eine Sonderrolle
zugekommen, habe er sich doch "als einziges Land in Ostmitteleuropa ..."
planmäßig bemüht, sein Territorium in zweiseitigen Verträgen mit seinen
Nachbarn linear abzugrenzen. Streben nach Gebietsherrschaft mit planmäßiger
7
Edition von H. Mendthai, Geometria Culmensis. Ein agronomischer Tractat aus der Zeit des
Hochmeisters Conrad von Jungingen (1393-1407), 1886; Übersetzung nach L. Weinrich, in: Herbert
Helbig, Lorenz Weinrich (Hgg.), Urkunden und erzählende Quellen zur deutschen Ostsiedlung im
Mittelalter, Teil I (Darmstadt 1968), S.527.
8 Ed. Mendthai (wie Anm. 7), S.16.
9
Hans F. Helmolt/'Die Entwicklung der Grenzlinie aus dem Grenzsaume im alten Deutschland", in:
Historisches Jahrbuch 17(1896), S.235-264.
10 Hans-Jürgen Karp, Grenzen in Ostmitteleuropa während des Mittelalters. Ein 3eitrag zur Ent¬
stehungsgeschichte der Grenzlinie aus dem Grenzsaum (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und
Kulturgeschichte Ostdeutschlands 9, 1972).
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