10. germ. marka
Bei der Besprechung von gali, broga habe ich bereits auf die Verwandtschaft mit
germ. marka "Grenze" hingewiesen. Ahd. marca (mhd. marke, nhd. Mark) gehört
wie got. marka und lat. margo "Rand" zu einer idg. Wurzel *mereg- "Rand,
Grenze" (Pokomy, S. 738). In der Karolingerzeit werden mit marca die Grenze
und das umgrenzte Gebiet bezeichnet (Bauer, S. 247). Auffallend ist freilich, daß
marca weder in der Bedeutung "Grenze" noch in derjenigen "eingegrenztes
Gebiet" in der 'Lex Salica' vorkommt, die für das Westfränkische repräsentativ ist
(Schmidt-Wiegand, S. 338). Von der jüngeren 'Lex Ribvaria' kann der
Rechtsaudruck marka "Grenze" aber ins Mittelfränkische und von dort in die
Karolingische Kanzleisprache gelangt sein. Marca "Gebiet" ist also gegenüber
marca "Grenze" sekundär. Die gleiche Entwicklung läßt sich bei sinaita in
Süditalien feststellen: "in territorio et districhi vel sinayta Sancti Severini"
(Matelica 1248) in der Bedeutung "abgegrenztes Gebiet, Jurisdiktion" ist sekundär
gegenüber: "senaita flumen Castellanum" (Fabriano 1170, Aebischer, ZrP 64, S.
386). Bauer (S. 248) stellt für das bairische Sprachgebiet fest, daß die Verbreitung
des Wortes mar(h)a "abgegrenztes Gebiet", das in den bayrischen Traditionen
nicht vor 788 bezeugt ist. Vermutlich geht auch ff. marche, it. marca, kat. ~ auf
das Fränkische und auf die karolingische Verwaltung zurück. Gemäß Boelcke
(Römisches Erbe, S. 31) wurden "mit den Marken Rechts-, Schutz- und Friedens¬
bereiche geschaffen."
Der französische Erstbeleg von marches "Grenzgebiet des Reiches" steht im
Rolandslied (Mitte 12. Jh.): v. 3716 "il [= Loewis = Ludwig der Fromme] est mes
filz, e si tendrat mes marches. " Marches "Grenzgebiete des Reiches" konnte ein
Grenzgebiet von der Größe eines ausgedehnten Landes bedeuten, wie z.B. die
bretonische Mark. Godefroy (10,121c) übersetzt weniger zutreffend mit "frontière
militaire d'un Etat". Wartburg schreibt im Kommentar zu germ. * marka (FEW 16,
Sp. 523b): "Das Wort bedeutet im rom. vor allem Grenzgegenden; es ist besonders
seit Karl dem Großen der offizielle Ausdruck der an den bedrohten Grenzen für
die Verteidigung organisierten Gaue."
Die Unterscheidung zwischen "Grenze" und "Grenzgebiet" ist gelegentlich
schwierig. Wartburg zitiert (N 9) einen Brief des französischen Königs aus dem
Jahr 1369: "Lyon, situee ès fins de nostre royaume, sur le marches de l'Empire."
Diese Polysemie "Grenze und Grenzgebiet" von mhd. mark ist möglicherweise
schuld daran, daß - wenigstens in bestimmten Gebieten - seit dem 15. Jahrhundert
das slawische Lehnwort granica "Grenze" sich ausbreiten konnte (Bauer, S. 248)
und wir heute im Deutschen Grenze und nicht Mark verwenden. In jenen
Gegenden freilich, "wo es in die deutsche Sprache zuerst aufgenommen wurde,
fand [granizze/grenicze] in dem Wort marke mit der Bedeutung 'Grenze' keinen
Konkurrenten vor "(Kolb, S. 354).
11. Ergebnisse
a) Wenn wir die Bezeichnungen für die Abgrenzung von Privatbesitz z.B. bei den
römischen Agrimensoren vergleichen mit den Abgrenzungen staatlicher Gebilde,
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