des Staates ist nur auf Zeit in Einzelbereichen unsichtbar geworden. Insofern blei¬
ben auch alte Probleme der Grenze als Rechtsprobleme bestehen.
Die Existenz von Staatsgrenzen kann dabei in ihrer Trennungsfunktion nicht aus¬
schließlich negativ beurteilt werden. Denn die Möglichkeit der Einschränkung von
Außeneinflüssen kann auch i. S. der Abwehr negativer oder gar schädlicher Ent¬
wicklungen gedeutet werden. Dies wird bei einem räumlichen Nebeneinander von
diktatorischen Regimen und demokratisch-freiheitlichen Staaten besonders be¬
wußt. Hier kann die Berufung auf den Verlauf der Grenze und die Auswirkungen
des Souveränitätsprinzips einen anders nicht begründbaren Schutz vermitteln.
X.
Die Grenze hat ihre Schutz- und Trennungsfunktion in manchen Bereichen jedoch
aufgrund faktischer Entwicklungen verloren. Das gilt i. e. L. für die Entwicklung
moderner Verkehrsmöglichkeiten, die in vielen Fällen wirtschaftlich begründet
sind. Hier wird die Grenze zu einer faktisch entfünktionalisierten Größe, die zu ih¬
rer Minimierung zu immer stärkerer Kooperation der Staaten zwingt. Die Tren¬
nungsfunktion ist faktisch umgeschlagen zu einem Mittel der Begegnung. Der
Zwang zur Kooperation drängt der Staatsgrenze damit eine neue Aufgabe auf98.
Noch deutlicher wird die Verschiebung, wenn die bisherige Trennungsfunktion der
Grenze sich nur bei einer erheblichen existentiellen Gefährdung aufrecht erhalten
läßt. Staatsgrenzen sind z. B. wirkungslos gegenüber Umweltschädigungen, und
Windrichtungen werden von ihnen ebensowenig beeinflußt. Hier belegt das ein¬
gangs erwähnte Beispiel des Industriebetriebes an der Grenze eine Zwangssituati¬
on, die mit ungewohnten Mitteln behoben werden muß. Die Gefährdung der Be¬
wohner des Nachbarstaates wirkt sich in derartigen Fällen so aus, daß schon bei
der Planung entsprechender Betriebe umfangreiche Informations-, Abstimmungs¬
zeiten und Hilfsmaßnahmen ergriffen werden müssen, um die rechtliche Haftung
für Schäden im Nachbarstaat möglichst gering zu halten39. Die Trennung durch
Staatsgrenzen zwingt auf diese Weise zum Zwecke der Erzielung eines erträgli¬
chen und schadensfireien Nebeneinander zu intensiver Kooperation der Staaten
untereinander. Sie wäre umfassend, wenn in diesen Fällen auch den Bewohnern
der gefährdeten Gebiete im Nachbarstaat gerichtliche Abwehrmöglichkeiten im
eigenen Staatswesen gewährt würden. Hierzu bedarf es jedoch gesonderter
vertraglicher Abstimmungen zwischen den Nachbarstaaten40.
Die zuletzt genannten Fälle bieten nur Beispiele für die veränderte Funktion von
Staatsgrenzen und ihre Problematik. Man wird sich fragen müssen, ob eine derar¬
tige Änderung der Funktion von Staatsgrenzen nicht auch auf anderen Gebieten,
oo
Vgl. Kloepfer/Kohler, a.a.O., S. 22, 25, 60 ff.; zu den damit verbundenen Koordination^- und
Kooperationspflichten Wildhaber, a.a.O., S. 107 ff.
Fröhler/Zehetner, Rechtsschutzprobleme bei grenzüberschreitenden Umweltbeeinträchtigungen,
1979/81, S. 79; zum insoweit herangezogenen "equitable-utilization-Prinzip": Klein, Umweltschutz im
völkerrechtlichen Nachbarrecht, 1976, S. 81 ff, 198 ff. und 232.
40 Kloepfer/Kohler, a.a.0., S. 82.
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